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Klare Worte sind gefordert
Joachim Guilliard,

Offener Brief an Carsten Hübner, Heidelberg, 25.5.2001

Lieber Carsten Hübner,

aufgrund der gegenüber Klaus von Raussendorff geäußerten Ansichten Deines Mitarbeiters Philipp Vergin zu unserer Initiative gegen das Irakembargo und den auch innerhalb der PDS-Fraktion kursierenden Rundschreiben zum Thema Irak möchte ich zu ein paar Punkten Stellung nehmen.

"Das Sanktionsregime gegen den Irak ist eindeutig illegal unter dem geltenden internationalen Menschenrecht und den humanitären Gesetzen. Einige würden so weit gehen, den Vorwurf des Völkermordes zu erheben" schrieb der belgische Professor Marc Bossuyt in seinem Gutachten für den Unterausschuß der UN-Menschenrechtskommission, dem er selbst angehört. "Das Sanktionsregime gegen Irak hat als sein klares Ziel, dem irakischen Volk Lebensbedingungen aufzuerlegen, ... die auf seine ganze oder teilweise physische Zerstörung ausgerichtet sind ... Die Staaten, die die Sanktionen auferlegen, könnten Fragen in Bezug auf die Völkermordkonvention aufwerfen." (1)

Klare Worte für eine Politik, die in knapp 11 Jahren nahezu eineinhalb Millionen Menschen getötet hat. Solch klare Worte sind bisher in Deutschland weder vom Bundestag, den dort vertretenen politischen Parteien oder anderen großen gesellschaftlichen Organisationen zu hören gewesen – auch nicht von linken und auch nicht von der PDS.

Statt dessen herrscht nach wie vor Desinteresse vor, Desinteresse das man vor sich selbst und anderen mit dem verbrecherischen Charakter des irakischen Regimes rechtfertigen will. Doch darum kann es angesichts der katastrophalen Situation im Irak nicht gehen, auch wenn dies unaufhörlich von interessierter Seite mit großem moralischen Druck gefordert wird – von Kreisen, die sich nicht scheuen auf dem Rücken der irakischen Bevölkerung Politik zu machen.

Seit Ende Februar ein Aufruf von namhaften Völkerrechtlern und Friedensgruppen veröffentlicht wurde, der die Bundesregierung auffordert, die Embargomaßnahmen nicht länger zu beachten, läuft dagegen eine richtige Kampagne, die mit einer ernsthaften Debatte über das relativ komplexe Thema "Irak" nichts zu tun hat. (2)

Mangels echter Argumente wird im Wesentlichen mit zwei Vorwürfen agiert: Wer sich nicht hinter die Politik besagter irakischer Exilgruppen stellt und sich statt dessen gegen diesen Krieg und für ein sofortiges Ende des Embargos einsetzt, ist ein Handlanger oder Parteigänger Saddam Husseins. Die Unmoral dieser Haltung wird mit Aufzählungen der Verbrechen des Regimes unterstrichen, wobei mit Zahlenangaben sehr frei umgegangen wird.
In neueren Anfeindungen wird versucht das Engagement für die irakischen Bevölkerung in die Nähe des Rechtsradikalismus zu rücken, den Umstand ausnutzend, daß es auch unter Neonazis Leute gibt, die sich (vor allem aus anti-amerikanischen Motiven heraus) für den Irak einsetzen.

Zu den inhaltlichen Punkten ist im wesentlichen folgendes zu sagen:

  1. Es ist absurd, Initiatoren und Erstunterzeichnern, wie den Professoren Ulrich Albrecht, Norman Paech und Werner Ruf oder Eckart Spoo und Peter Strutynski, um nur einige zu nennen, zu unterstellen, sie wären naiv oder wollten das irakische Regime rehabilitieren.
  2. Grundlage unseres Aufrufs ist, daß das Embargo gegen ethische, wie menschen- und völkerechtliche Normen verstößt und mit keinen politischen Zielen zu rechtfertigen ist. Es muß daher bedingungslos fallen, alle anderen den Irak betreffenden Fragen müssen davon getrennt behandelt werden! Zudem ist eine Kriegs- und Embargopolitik, die den Sturz eines Regimes zum Ziel, hat mit dem Völkerrecht und der UN-Charta nicht vereinbar. Da sich der Aufruf auf das wesentliche konzentriert, kann er von allen mitgetragen werden, die ernsthaft für ein Ende des Embargo sind – unabhängig von ihren sonstigen Einstellungen und Aktivitäten zum Irak.
  3. Ein Ende des Embargos wertet zwar in gewisser Hinsicht auch das irakische Regime auf. Das muß aber in Kauf genommen werden, wenn man die Bevölkerung nicht länger den verheerenden Sanktionen aussetzen will. Allein mit einer Freigabe des Handels von Konsumgüter, ist es nicht getan: der Irak braucht Unterstützung zum Aufbau der gesamten zivilen Infrastruktur. Daher müssen auch notgedrungen die politischen Kontakte zum Baath-Regime wieder aufgenommen werden. Mit wem sollen denn sonst die Grundlagen für einen Wiederaufbau der Wirtschaft, des Gesundheits- und Bildungswesen etc. ausgehandelt werden?
  4. Es ist in diesem Zusammenhang auch nicht ausschlaggebend, in welchem Maße das irakische Regime zur verheerenden Situation im Land beigetragen hat und noch beiträgt. Entscheidend ist hier allein, daß das Embargo ursächlich dafür verantwortlich ist und maßgeblich dazu beiträgt (vgl. u.a. Marc Bossuyt weiter oben).
  5. Der oft erhobene Vorwurf, dass das irakische Regime der Bevölkerung gezielt medizinische Hilfsgüter, Lebensmittel usw. vorenthalte, ist allerdings nicht haltbar. Die zugänglichen UN-Dokumente und die Aussagen von UN-Mitarbeiter, die vor Ort arbeiteten, lassen zumindest keine solchen Schlüsse zu. (s. UN-Büro für das "Öl-für-Nahrungsmittel-Programm" (OIP) unter http://www.un.org/Depts/oip/ oder Stellungnahmen Hans v. Sponecks in diversen Zeitungen)
  6. Daß Milliardenbeträge aus den Einnahmen von Ölverkäufen auf dem Treuhandkonto verbleiben und nicht zum Kauf nötiger Güter verwendet werden, liegt in erster Linie nicht am Irak, sondern an der Genehmigungspraxis im Rahmen des Oil for Food-Programms. Bei aller Kritik am irakischen Regime, muß festgehalten werden, daß es vor dem Embargo beträchtlich in die Hebung des Lebensstandards der breiten Massen investiert hatte, inkl. kostenlose Bildung und Gesundheitsversorgung (s. hierzu die Berichte UNICEF, WHO und Caritas). Es gibt daher keinen Grund anzunehmen, die freie Verfügung über seine Öleinnahmen würde nicht der Bevölkerung zu Gute kommen.
  7. Betrachtet man die gesellschaftlichen Folgen des Embargos, so ist offensichtlich, daß unter dem Embargo keine positive Entwicklung im Irak bzgl. Menschenrechte und Demokratie möglich ist - im Gegenteil. Hier sind erfahrungsgemäß die Chancen in einem nicht isolierten Land, dessen Bewohner wieder im Kontakt zum Ausland stehen und die Möglichkeit haben, ihr Leben in die Hand zu nehmen ungleich besser – wenn natürlich auch niemand einen baldigen Fortschritt garantieren kann.

Die Diskussion um die Aufhebung des Embargos hat nichts mit "Antifa" zu tun

Forderungen nach Aufhebung des Embargos werden nicht nur von Linken erhoben, sondern aus humanitären Gründen von Menschen quer durch die Bevölkerung. Es ist richtig, daß es auch rechtsradikale Gruppen gibt, die sich aus durchsichtigen Gründen für den Irak einsetzen. Daraus irgendwelche Schlüsse z.B. über die Richtigkeit der Aufhebung von Sanktionen zu ziehen ist jedoch völlig abwegig: Die Erde bleibt eine Kugel und dreht sich um die Sonne auch wenn Naziblätter dies so darstellen und Galilei und Kepler werden nicht dadurch diskreditiert, daß sie dabei zitiert werden.

Es ist einfach niederträchtig, wenn durch das Nebeneinanderstellen von eigentlich nicht zusammengehörigen Fakten, Behauptungen und Anspielungen, Verbindungen von Embargogegnern zu rechtsradikalen Kreisen assoziiert werden soll, wie z.B. in einem Artikel über die von rechten Kreisen getragene Hilfsaktion "S.O.S. Irak" in der Zeitschrift "Rechter Rand".

Dieser enthält einige Abschnitte über einen ehemaligen irakischen Waffenhändler mit Verbindungen zu Haider und Schönhuber. Er kommt dann unvermittelt auf das Deutsch-Arabische-Friedenswerk DAF zu sprechen, dem auch Alfred Mechtersheimer angehört. Dieser ist nach Angaben des DAF noch als grüner Bundestagsabgeordneter beigetreten und hat keine aktive Funktion, wird im Artikel aber zum Gründer des Vereins befördert, um anschließend auch die Friedensbewegung diskreditieren zu können: Vertreter derselben hätten auf einer vom DAF organisierten Veranstaltung gesprochen und das DAF unterzeichnete auch den oben genannten Aufruf zur künftigen Nichtbeachtung der Sanktionen.

Noch knapper und absurder macht es Branscheidt, indem er Hans von Sponeck eine gewisse Nähe zu Rechtsradikalen unterstellt, da diese in einem Text auf seinen Rücktritt als Leiter des Öl-für-Nahrungsmittel-Programms der UNO im Irak eingehen und er sich dagegen nicht gewehrt hätte.

In die Kategorie "absurd" fällt auch ein ganzheitlicher Rundumschlag von Branscheidt (der nach seinen eigenen Angaben auch den Weg in den Rundbrief von Medico finden soll). Hier stellt er nach Scharpingscher Manier Analogien zwischen den Verbrechen des irakischen Regimes und der Vernichtungspolitik des NS-Faschismus her und bemüht sogar die Psychoanalyse, um sich und seinen Anhängern – angesichts dieser monströsen Dimensionen – die Motivation von Gegnern des Embargos zu erklären.
Die Monstrosität eines Embargos, das eineinhalb Millionen Menschenleben forderte, kann da schon mal aus dem Blick fallen: "Schon die Fixierung der Argumentation auf die "Embargo-Frage" bedeutet ein strategisches Verleugnen des Problems: Denn das sekundäre Embargo ist nicht das primäre Problem des Irak, sondern die Baath-Partei-Herrschaft des Diktators - und der muß weg."

Auch die aktuelle Kampagne gegen den am 1. Juni geplanten Solidaritätsflug wird mit ähnlichen Argumenten geführt. Ohne eine Ahnung zu haben, wer hier tatsächlich mitfliegen wird, werden in einem Aufruf dagegen – wieder ohne konkreten Zusammenhang – Namen von rechten und rechtsradikalen Personen in Spiel gebracht, um dann zu bedauern, daß auch "Teile der Friedensbewegung und des antiimperialistischen Specktrums in diesem Zusammenhang aktiv" seien.

Dabei haben solche Flüge aus vielen anderen Länder, darunter Italien, Frankreich und Großbritannien schon im letzten Jahr mit führender Beteiligung linker Parlamentariern und anderen Prominenten stattgefunden. Angesichts der bedingungslosen Unterstützung der US-Politik durch die deutsche Regierung halte ich ein solchen Flug durchaus für eine sinnvolle symbolische Aktion gegen das Embargo. Auch hier muß, wie oben erwähnt, die damit unvermeidbar verbundene Aufwertung des irakischen Regimes in Kauf genommen werden und mir wäre natürlich lieber, eine linke Parlamentariergruppe hätte die Federführung bei einer solchen Aktion.

In einem Aufruf gegen diesen Flug kommt der prinzipielle Denkfehler Branscheidts und Co. deutlich zum Vorschein:

"Die irakischen Exilgruppen und Oppositionsparteien, die sich seit langem bemühen die Rahmenbedingungen für einen "neuen Irak" als Staat vieler Gruppen und unterschiedlicher Menschen zu schaffen, sollen unsere demokratisch legitimierten Partner dabei sein, nicht das Regime des Völkermords. Mit ihnen gemeinsam sind Programme zu entwickeln, wie das Elend und Leiden der Bevölkerung zu beenden ist, ohne daß das alte Regime wieder seine volle innen- und aussenpolitische Souveränität zurückgewinnt." Lassen wir mal dahin gestellt sein, worin die demokratische Legitimation dieser Exilgruppen liegen soll, die selbst nach Einschätzung der führenden US-Medien keine nennenswerte Verankerung im Irak haben und viele das Attribut "demokratisch" allein ihrer pro-westlichen Ausrichtung verdanken. Es dürfte doch jedem realistisch denkenden Menschen einleuchten, daß dies kein gangbarer Weg aus der aktuellen verheerenden Situation ist.

Nicht sehr logisch auch die Argumentation eines Vertreter der irakischen KP (jungle World, 16.5.2001), der eine bedingungslose Aufhebung der Sanktionen ebenfalls ablehnt, obwohl seiner Meinung nach, sich die Menschenrechtssituation im Irak durch die Sanktionen kontinuierlich verschlechtert habe und das Regime innenpolitisch von den Sanktionen profitiere.

Karl Grobe sieht dies wesentlich klarer. Er schrieb bzgl. der geplanten Lockerung der Sanktionen am 21.05.2001 in der FR: "Rationaler wäre die Idee als doppelte Maßnahme beschrieben: Aufhebung des Embargos und Einführung einer rigorosen Handelssperre für Rüstungsgüter aller Art. Die erste Hälfte dieser Definition ist aber in der West-Öffentlichkeit kaum zu verkaufen; dafür sitzt das Schurkenstaat-Bild zu tief im allgemeinen Bewusstsein. Die Vorstellung, Saddam könnte in Triumphgeschrei ausbrechen, ist für weniger Informierte unerträglich. Es wäre indessen nicht sein Triumph. Es wäre der Beginn einer sozialen Veränderung, welche die Bereicherungsbasis der Minderheit zerstört."

Auch mit den anvisierten Änderungen in der Sanktionspolitik ist das Thema noch lange nicht vom Tisch. Experten gehen davon aus, daß die Lockerung der Sanktionen nicht weit genug gehen wird, u.A. weil auch bisher viele Güter als „Dual Use“ eingestuft worden waren: das ging von rostfreien Wasserpumpen bis zu Bleistiften.

Ich kann an die Adresse der PDS nur die Forderung wiederholen, die Stefan Gose von der "antimilitarismus information" in einem Schreiben an Wolfgang Gehrke erhoben hat, sich nicht vor der entscheidenden Frage zu drücken:

"Wer eine Aufhebung der nicht-militärischen Sanktionen fordert, mag dies deklaratorisch ‚immer mit einer scharfen Absage an Saddam Hussein koppeln.‘ In der Praxis komme ich aber nicht um die Tatsache herum, daß ein Ende der zivil-ökonomischen Sanktionen auch die Aufnahme von Kontakten zum Baath-Regime bedeutet. ... Sich in der Irak-Debatte zu Positionieren ist eine Abwägung, bei der die eigenen Finger in jedem Fall schmutzig werden. Deshalb hier bitte auch couragierten Klartext." (Wortlaut und weitere Infos unter www.embargos.de)

Für eine solche klare Stellungnahme von Dir und anderen aus der PDS wäre ich sehr dankbar. Falls hier noch Informations- und Diskussionsbedarf bestehen würde, so wäre ich, aber auch Experten, wie Hans von Sponeck, Jutta Burghardt oder Werner Ruf gerne dazu bereit sich mit Euch darüber zu unterhalten.

Mit solidarischen Grüßen,

Joachim Guilliard

(1)  „Das Sanktionsregime gegen Irak hat als sein klares Ziel, dem irakischen Volk Lebensbedingungen aufzuerlegen, ... die auf seine ganze oder teilweise physische Zerstörung ausgerichtet sind. Es tut nichts zur Sache, dass diese absichtli-che physische Zerstörung angeblich die Sicherheit in der Region zum Ziel haben soll. Sobald der klare Beweis erbracht worden war, dass Tausende von Zivilisten gestorben sind und Hunderttausende in Zukunft sterben würden, wenn der Sicherheitsrat die Sanktionen fortsetzt, waren die Toten nicht länger ein unbeabsichtigter Nebeneffekt - der Sicherheits-rat war [ab da] verantwortlich für alle bekannten Konsequenzen seiner Aktivitäten. ...  Die Staaten, die die Sanktionen auferlegen, könnten Fragen in Bezug auf die Völkermordkonvention aufwerfen.“ (Marc Bossuyt, The adverse conse-quences of economic sanctions on the enjoyment of human rights. UN Menschenrechtskommission, Dokument E/CN.4/Sub.2/2000/33)

(2)  Diese Kampagne geht im wesentlichen von Vertretern der beiden großen irakisch-kurdischen Parteien und von dem (von den USA geförderten) Iraqi National Congress angehörigen Gruppen aus und wird personell vor allem von drei Vertretern der deutschen „Kurdistansolidarität“ getragen: Hans Branscheidt (der hier wohl trotz gegenteiliger Versicherungen nicht im Namen medicos agiert) und Ostersacken/Uwers von WADI, assistiert von den oft völkisch und stramm anti-arabisch argumentierenden Blättern Jungle World und Konkret.