Die IRAK DEBATTE

Vorabdruck aus dem medico Rundschreiben
Juni 2001

Die Meister aus Deutschland, ihre Abwehrmechanismen & die Liebe zu Saddam Hussein

"Daß es 'so weiter' geht, ist die Katastrophe". (Walter Benjamin)

Am 16. März 1988 übersprühten irakische Kampfflugzeuge die kurdische Stadt Halabja mehrfach mit aerosolartig konfektioniertem Senfgas und anderen Nervengasen. 5000 Menschen kamen im Lungenkrampf ums Leben, weitere 10 000 leiden bis heute unter den schwerwiegenden Folgen. Von der Aufhebung des Embargos gegen die Wiedergutmachung gegenüber den Opfern ist bis heute keine Rede. Aufgrund von Erhebungen von Human Rights Watch wurden an nachweislich 40 Orten Giftgase gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt, was zur qualvollen Massentötung von 180 000 Menschen führte. Etwa 70 % der Giftgasproduktionsanlagen des Irak stammten aus Deutschland.

"Der Tod ist ein Meister aus Deutschland" (Paul Celan, Todesfuge)

medico international veröffentlichte damals eine vielbeachtete Liste mit den Namen von 56 an der Lieferung beteiligten Unternehmen der BRD. Den Exportaktivitäten der Todeshändler hatten die Bonner Ministerien keinen einzigen Stein in den Weg gelegt. Ungeachtet aller Beweise erklärte der damalige Staatsminister im Auswärtigen Amt, Möllemann: "In der (irakischen Giftgasproduktionsstätte) Samarra werden nur Pestizide hergestellt". Erst nach jahrelanger Verzögerung endeten Strafverfahren gegen die beteiligten Firmen (1994/1996) mit Freisprüchen und Bewährungsstrafen.

Die Wiederkehr des Verdrängten

medico schrieb damals: "Das Mindeste, was als Reaktion zu erwarten gewesen wäre in einem Land, dessen Todeskrämer nach dem Einsatz von Giftgasen im belgischen Ypern (1. Weltkrieg), der Vernichtung von Menschen durch Zyklon B (Auschwitz), durch den Verkauf eines Boehringer Patents an die USA zur späteren Entwicklung des chemischen "Agent Orange" (VX Kampfstoff)für die Verwendung in Vietnam und nun dem deutschen Wirtschaften mit dem Irak, bei dem wieder der Massenmord an anderen zum Produktionsziel erklärt worden ist, - die mindest erwartbare Reaktion wäre gewesen, daß die gesamte Bevölkerung auf die Straße gegangen und die Regierung zum Rücktritt gezwungen hätte".

Die politisch-moralische Geschichte Deutschlands steht im Zeichen der Verursachung und Beihilfe an den 4 großen Menschheitsverbrechen der Moderne: Dem fabrikmäßig organisierten Judenmord, dem genozidalen Armenier-Massaker, dem Generalfeldmarschall von Moltke beipflichtete, der fast vollständigen planvollen Vernichtung der Hereros in der namibischen Wüste durch General Lettow-Vorbeck - und in der neuesten Fortsetzung dieses Trauerspiels durch die Beteiligung bei der Vergasung von Menschen im Irak. Diese gilt nach den Ansicht des UN-Sonderberichterstatters als Völkermord im Sinne der "UN-Konvention zur Bestrafung und Verhütung von Völkermord".

Von dieser unerhört großen Schuld versucht sich ein Teil der deutschen Öffentlichkeit neuerdings ausgerechnet durch die Aufforderung zur Wiederaufnahme normaler Beziehungen zur Diplomatie des irakischen Genozids zu befreien. Wie bei jeder mißlungenen Schuldbearbeitung bedient man sich dabei der Methode des Revisionismus. Anna Freud hat in ihrer Schrift "Das Ich und die Abwehrmechanismen" den Vorgang "intelligenter" Sanktionen gegen das offene Bewußtsein beschrieben: Das "Unbewältigte" muß "kleingeschrieben" werden, statt des angebrachten, aber nicht zugelassenen Affekts wird die Tat "versachlicht", womöglich "intellektualisiert", den Opfern sogar die Schuld noch zugeschrieben, das "unerträgliche Geschehen" erfährt "Rationalisierung" und soll dadurch in einen "normalen" Vorgang aufgelöst werden. Die normalste aller deutschen Abwehrformationen gegen gegen begangenes Unrecht ist an der Reaktion auf Auschwitz erkennbar: wenn der "unsachliche" Philosoph Adorno an die Adresse der Deutschen gerichtet meinte, nach dem Judenmord sei kein Gedicht mehr möglich, - was der professionellen Verdrängung allemal als hysterisch eifernde Übertreibung galt, - schmissen diese sich, denen am Gedicht ohnehin nicht viel lag, nach dem Krieg aufs Geschäft. Neuerdings allerdings nicht mehr nur auf das Business, sondern dies begleitend auch auf die "Humanität." Sämtliche der aktuellen Versuche, die deutsche Irak-Schuld zu minimieren, bedienen sich der von Freud geschilderten Mechanismen und bedienen sich rationalisierender Sprachfiguren:

Die USA-These: "Haben nicht die USA Saddam in den Krieg gelockt und sind daher nicht diese eher schuld als der Diktator?" Die Embargo-These: "Ist nicht das von den UN & den Allierten ausgesprochene Handelsembargo gegen den Irak ursächlich Schuld an der andauernden Repression Saddams?" Die Kurden-These: "Sind nicht die Kurden ein Sonderfall bei der Betrachtung der Ereignisse in einem arabischen Land, dessen Einheit sie separatistisch begegneten?" Die Humanitäts-These: "Um der notleidenden Menschen wegen muß das Embargo aufgehoben werden, dies erfordert den Dialog mit Bagdad?" Die Demokratie-These: "Wird nicht auch inclusive Saddam eine Demokratie im Irak dann möglich, wenn das Embargo aufgehoben ist?"

Schon die Fixierung der Argumentation auf die "Embargo-Frage" bedeutet ein strategisches Verleugnen des Problems: Denn das sekundäre Embargo ist nicht das primäre Problem des Irak, sondern die Baath-Partei-Herrschaft des Dikators - und der muß weg. Nicht vor einem Embargo flohen 1991 300 000 Iraker, sondern aus Angst vor dem Regime. Nicht die Unterdrückten sind schuld, Kurden und andere, sondern die Zwangsarabisierung des Diktators verursachte Widerstand. Jene einzig demokratische Tatsache am Ende des 2. Golfkriegs: dem Volksaufstand der Schiiten im Süden und der Kurden im Norden, den die westlichen Alliierten, - ihrerseits belastet durch Waffenlieferungen und Unterstützung an Saddam,- verrieten.

Kein Kontakt zur Diplomatie des Genozids

Die Verbrechen Saddams und seines Takriti-Clans sind beispiellos. Kein anderer Diktator dieser Zeit hat auf diese Art mit Giftgassprays - rationell und kostengünstig genozidal - einen Teil des eigenen Staatsvolks wie Ungeziefer auszurotten versucht. Und keiner der modernen staatlichen Massenmörder hat es vermocht, die Auswirkungen eines gegen ihn ausgesprochenen Embargos so zielbewußt wirkungsvoll auf die notleidende Bevölkerung zu richten, nicht ohne dieses neuerdings sogar als ein humanitär camoufliertes Vehikel zu seiner internationalen politischen Aufwertung einzusetzen. Ende 2000 erging an die irakische Diplomatie die Anweisung, eine Kampagne zu starten, die unter Hinweis auf das manifeste Leid die Notwendigkeit der Herstellung normaler Beziehungen zum Regime bewirken sollte. Nicht ER ist das Problem, sondern das Embargo!
 
 

"Und ist so gut, als wär es nie gewesen...":

Diesem Prinzip des Mephisto aus dem Faust folgend, das auf die "Zerstörung von Erinnerung" zielt (Adorno), verhallte der Ruf bei den Deutschen Meistern nicht ungehört. Wieder war es der FDP Politiker Möllemann, der in Saddam sofort den alten guten diskreten Kunden identifizierte. Im Dezember 2001 stellte er sich in einem erstaunlichen Interview in der "Welt" zur Verfügung: "Ich rede mit Saddam!" Um für die erste Hälfte 2001 bereits eine hochkarätige Wirtschaftsdelegation en route Bagdad anzukündigen. Die Deutsch-Arabische Gesellschaft, deren langjähriger Präsident Möllemann ist, lud im April 2001 offiziell zum Vortrag in die eigenen Räume ein: Gastredner war Dr. Abd Al-Razzak Al-Hashimi, früher Botschafter des Irak in Paris und Bonn - und nicht weniger als der seinerzeitige diplomatische Organisator des Technologie-Transfers zur Giftgasproduktion. Für den 1. Juni 2001 schließlich ist ein großzügiger "Solidaritätsflug" vom Flughafen Frankfurt nach Bagdad angekündigt, mit kostenlosem Aufenthalt im teuersten Hotel Bagdads, den Armen zuliebe. Nachdem seit 10 Jahren nur deutsche Neonazis nach Bagdad tourten, ist ausdrücklich nun die deutsche "Friedensbewegung" erwünscht. Die persönlich zu empfangen sich Saddam nicht nehmen lassen wird: das Blut von 600 enthaupteten Frauen (HRW) der letzten 3 Jahre an seinen Händen. Unverständnis fand nur der gelungene Akt, eine öffentliche Veranstaltung mit irakischen Diplomaten an der VHS Ulm zu verhindern, was als "Dialogfeindlichkeit" denunziert wurde.

Gelungen ist die Revision des Völkermordes & vollendet die Verdrängung dann, wenn der Schuldvorwurf seine Umkehrung erfahren hat: weil hochnotpeinlich zu begründen sein soll, warum die Vertreter eines Regimes, das alltäglich die restlose Vernichtung Israels fordert, nicht dort sprechen dürfen, an einer Ulmer Volkshochschule, deren beide Namensgeber - Hans und Sophie Scholl - nicht für Giftgas und Judenmord, sondern unwiderruflich dagegen den Tod in Kauf zu nehmen bereit waren.

Das Embargo?

Dessen Aufhebung zu fordern liegt in der alleinigen Autorität der Opfer im Lande und der Verfolgten des Regimes. Mit ihnen wollen die Initiatoren (Admiral Schmähling, Graf von Sponeck, TOP-Agent Rainer Rupp) eines Aufrufes "Zur Aufhebung des Irak Embargos" (April 2001) aber nicht reden. Kein Wort in ihrem Text zur Charakterisierung des Regimes, nichts zur politischen Opposition, Schweigen zu Halabja, kein Sterbenswörtchen von den Opfern: Saddam Hussein würde das ihnen übelnehmen. Eine solche Embargo Opposition ist nicht frei in ihrem Handeln und demokratisch nicht legitimiert.

Die Hilfsorganisation medico international fordert bereits seit 1991 die Aufhebung des Embargos - im Einklang mit den Menschen und der gesamten irakischen Opposition. Mit diesen verbunden, verlangen wir auch die Fortdauer von Restriktionen gegen ein Regime, dessen finanzielle und vor allem waffentechnische Möglichkeiten weiter strikt einzuschränken sind.

Die auf den zweiten Golfkrieg gemünzte Parole der Friedensbewegung "Kein Blut für Öl!" findet nach dem Völkermord und dessen erneuter Verdrängung in merkwürdiger Umkehrung am Ende erst ihre Berechtigung: die Erhöhung der Benzinpreise vor Augen machen sich Interessen bemerkbar, die Verbrechen Saddams gegen die Erweiterung von dessen Möglichkeiten zur Petrolförderung geldlich zu verrechnen.

Der Weg aus der Schuld führt einzig jedoch über Halabja und die Anerkennung der eigenen Beteiligung an diesem Verbrechen. Wenigstens dem Versuch der Wiedergutmachung.

Hans Branscheidt