Die Schurkenmacher

Die Sanktionen gegen Irak also haben das Regime nicht erschüttert; sie haben es eher gefestigt

Von Karl Grobe

Elf Jahre lang gelten jetzt die Sanktionen gegen Saddam Husseins Irak; ebenso lange unterläuft das Regime sie. Die Handelsverbote haben mehr als zwanzig Millionen Menschen im Zweistromland in Isolationshaft genommen und eine knappe Million nicht. Diese Minderheit unter den Irakern ist der harte Kern des Regimes, verstärkt durch eine Clique von Krisengewinnlern, die als einfallsreiche Geschäftsleute zu benennen den nicht kriminellen Aspekt ihres Tuns und Lassens durchaus zutreffend beschreibt. Die Minderheit ist - im Unterschied zu den zwanzig Millionen - eben nicht absolut verarmt. Sie hat sich bereichert, sehr oft sogar im Vergleich zur Zeit vor dem "Wüstensturm". Sie lebt die kriminellen und amoralischen Möglichkeiten der Diktatur umso ungehemmter aus.

Die Sanktionen also haben das Regime nicht erschüttert; sie haben es eher gefestigt. Der Mechanismus funktioniert erbarmungslos präzise und bewirkt das Gegenteil dessen, was seine alliierten Urheber 1991 bezweckt haben. Wenn Irak wegen seines Regimes als "Schurkenstaat" gilt, dann können die Maßnahmen zu seiner Isolation füglich als Handlungen von Schurkenmachern begriffen werden.

Das alles war abzusehen. Den ersten Golf-Krieg - gegen Iran - hat Saddam Husseins Regime vom Zaun gebrochen um territorialer Vorteile willen. Es hat ihn nicht gewonnen. Es hat in seinem Verlauf aber zweierlei erreicht: erstens jede in der Öffentlichkeit bemerkbare Opposition liquidiert oder wenigstens mundtot gemacht; zweitens den vorher erreichten zivilisatorischen und ökonomischen Standard einigermaßen bewahrt. Das Regime war deswegen um keinen Deut erträglicher.

Den zweiten Golf-Krieg, den die Annektion Kuwaits durch Saddam Husseins Regime ausgelöst hat, überlebten das Land und das Volk mit genauer Not. Die zivilisatorischen Grundlagen wurden entweder durch gezieltes "intelligentes" Bombardement schwer angeschlagen oder brachen nachher am Mangel an Reparaturmöglichkeiten ganz zusammen. Das verkündete Ziel, durch die Demonstration militärisch unanfechtbarer Überlegenheit dem Volk den Impuls zum Tyrannensturz zu geben, wurde grausam verfehlt.

Saddam Hussein nutzte die militärische Niederlage zum absoluten Sieg über alles, was sich gegen ihn zu regen gewagt hatte, und spann die Massen in den Kokon der patriotischen Propaganda ein. Je genauer die Liefersperren griffen, je weniger folglich medizinisches Gerät, Medikamente, Lebensmittel, Ersatzteile für zivile Technik von der Stromversorgung bis zur Wasserleitung und unabhängige Information ins Land kamen, desto wirksamer war die rhetorische Figur des Chauvinismus: Das Ausland war Verursacher der Misere, voran die USA; und einige ihrer Aktionen gaben der Propaganda zusätzliche Munition. Die Nutzung internationaler Rüstungskontrolleinrichtungen zur Spionage für Washington war ein Vorgehen von exquisiter politischer Dummheit; denn es zeugte die Möglichkeit, jede Inspektion abzulehnen.

An diesem Punkt greift die Ablehnung des britischen Plans "intelligenter Sanktionen", die am Wochenende in der bekannt scharfmacherischen Zeitung al-Qadissiya stand. Doch dies war ein Propagandastück. Um was es genau geht, hat Iraks Vizepremier Tarik Asis indirekt erkennen lassen. Er drohte Jordanien und der Türkei an, sofort die Öllieferungen einzustellen, sollten sie sich den "intelligenten Sanktionen" anschließen. Das Öl wird zu einem beträchtlichen Teil außerhalb des international gebilligten Programms exportiert, das Irak gewisse Verkäufe zugesteht, um vom Erlös Lebensmittel einzukaufen. "Außerhalb" bedeutet: Es wird geschmuggelt. Wer daran verdient, und zwar völlig unkontrolliert, der gehört zur reichen Minderheit. Wird normaler Handel mit diesem nicht zu den Kriegsmaterialien gehörenden Gut möglich, so fällt eine wunderschöne Einnahmequelle weg. Dass andererseits "der Westen" rund die Hälfte der legalen Einnahmen aus dem "Öl-für-Lebensmittel"-Programm à conto Kriegsschuldenbegleichung und humanitäre Hilfe wegsteuert, ist unerheblich. Der Vorgang ist offen und öffentlich und berührt die Interessen der Neureichen kaum.

Die britische Idee "intelligenter Sanktionen" läuft im Grundsatz auf freien Handel hinaus, ausgenommen Waffen und sonstiges Kriegsmaterial. Rationaler wäre die Idee als doppelte Maßnahme beschrieben: Aufhebung des Embargos und Einführung einer rigorosen Handelssperre für Rüstungsgüter aller Art. Die erste Hälfte dieser Definition ist aber in der West-Öffentlichkeit kaum zu verkaufen; dafür sitzt das Schurkenstaat-Bild zu tief im allgemeinen Bewusstsein.

Die Vorstellung, Saddam könnte in Triumphgeschrei ausbrechen, ist für weniger Informierte unerträglich. Es wäre indessen nicht sein Triumph. Es wäre der Beginn einer sozialen Veränderung, welche die Bereicherungsbasis der Minderheit zerstört. Die Massenkaufkraft grenzt zwar heute an Null, doch neue Arbeits- und Handelsmöglichkeiten würden dies bald ändern. Das Regime und seine Nutznießer leben aus den genannten Gründen von der Armut der Mehrheit. Dieser entgegenzuwirken würde die Außenwelt aus der fatalen - und wohl ungewollten - Schurkenmacher-Rolle endlich lösen. 

[ document info ]
Copyright © Frankfurter Rundschau 2001
Dokument erstellt am 20.05.2001 um 21:34:32 Uhr
Erscheinungsdatum 21.05.2001