Europäischen Friedensdelegation "Inspektoren des Friedens"

Interview mit Dirk Adriaensens, "SOS Children Iraq/ Belgien"

Interview: Karin Leukefeld,
Bagdad, 25. April 2002

Dirk Adriaensens ist Mitarbeiter der belgischen Hilfsorganisation "SOS Children Iraq/ Belgien". Die Organisation, aktiv außerdem in Algerien, Frankreich und Holland, hielt sich zwei Wochen mit einer Europäischen Friedensdelegation unter dem Motto "Inspektoren des Friedens" im Irak auf.

Berichten Sie uns etwas zur Geschichte ihrer Organisation?

Die belgische Ärztin Lieve Dehaes ergriff nach dem Golfkrieg die Initiative und gründete SOS Children Iraq. Sie hatte einen Monat nach dem Krieg eine Fahrt des Internationalen Harvard Untersuchungsteams in den Irak organisiert, das die Auswirkungen des Golfkrieges untersuchte. Sie sah das Elend der Kinder, die am meisten unter den Folgen des Embargos zu leiden hatten und gründete SOS Children Iraq. Wir haben humanitäre und politische Initiativen zur Aufhebung der Sanktionen ergriffen. Nach einigen Jahren geriet der Irak in den Medien zwar in Vergessenheit, aber die Terrorisierung des Landes hielt an, auf einem niedrigen Niveau. Ein Vertreter unser Organisation kommt jedes Jahr hierher um, die weitere Entwicklung zu beobachten.

Arbeitet "SOS Children Iraq" ausschließlich im humanitären Bereich?

Wir bringen Medikamente und medizinische Ausrüstung in den Irak. Wir helfen Kranken, in Belgien eine Behandlung zu bekommen. Wir bringen sie her, bezahlen das Ticket, die Krankenhäuser und die Operationen, wenn nötig. Es gibt auch Ärzte, die das kostenlos machen. Für sie ist das ein Beitrag, die Auswirkungen der Sanktionen zu reduzieren. Wir arbeiten mit Künstlern, die auf ihrer Ebene versuchen, die Auswirkungen der Sanktionen zu überwinden. Wichtig ist uns aber auch die politische Kampagne zur Aufhebung der Sanktionen gegen den Irak. Alle Berichte seit 1992, damals von der WHO bis jetzt zu dem letzten Bericht von UNICEF aus 1999, sind sich einig, dass wegen der Sanktionen 500.000 Kinder unter 5 Jahren gestorben sind. Jeder Mensch kann das nachlesen. Wenn wir das verändern wollen, reicht es nicht medizinische Ausrüstung herzubringen, der Irak ist reich genug und kann das selber bezahlen. Wichtig ist die Kampagne zur Aufhebung der Sanktionen.

War das jetzt die erste Delegation, die SOS Children Irak organisiert hat?

Nein, es gab schon mehrere Delegationen. Doch dieses Mal gab es eine riesige Reaktion auf unseren Aufruf im Internet. Bis zu 300 Leute haben sich zunächst angemeldet, schließlich sind 120 gefahren. Das ist auch eine Kraft, die im Internet steckt. Sogar in Algerien hat es jemand gelesen und ins Arabische übersetzt mit dem Ergebnis, dass fast 30 Algerier mitgefahren sind. Wir können also das Internet nutzen, auch wenn es eine Erfindung des hoch technologisierten Imperialismus ist. In diesem Fall nutzten wir es für eine Kampagne zur Aufhebung der Sanktionen.

Welche Erfahrungen haben Sie mit dieser großen Delegation gemacht, war es ein Erfolg?

Eine wirkliche Bilanz lässt sich erst ziehen, wenn wir zurück sind. Unser Ziel war, Freunde des Irak zu gewinnen, die in ihren Ländern die Menschen darüber informieren, dass das irakische Volk gefesselt ist und langsam ermordet wird. Das Embargo ist ein Völkermord. Wir hoffen, dass die Leute nach dieser Fahrt aktiv werden, dann haben wir eine positive Bilanz. Aber schon jetzt ist die Bilanz positiv. Dass wir mit den 120 Leuten so wenige Probleme hatten, ist schon erstaunlich. Es gab keine Provokationen oder so etwas. Sogar mit einer 50-Personen-Delegation hatte ich schon mehr Probleme, als mit dieser großen Gruppe.

Lag das an den Leuten der Delegation oder vielleicht auch an den sehr offenen Gastgebern und den irakischen Behörden hier?

Unser Gastgeber war die "Organisation für Freundschaft, Solidarität und Frieden". Es gab schon Schwierigkeiten und Missverständnisse auf beiden Seiten. Unterschiede in der Kultur und wie man mit Schwierigkeiten umgeht. Sie sagen hier nie direkt "nein", aber ein "ja" bedeutet auch nicht immer "ja". Doch wir haben wirklich erstaunliche Dinge sehen können, man ließ uns sogar an die demilitarisierte Zone im Süden des Irak fahren. Ich glaube nicht, dass viele andere Delegationen dort waren. Für die irakische Seite war wichtig, dass wir in einer Zeit gekommen sind, in der ihr Land durch einen neuen Krieg bedroht ist und dass 120 Leute klar gemacht haben, dass sie den Krieg ablehnen.

Konnten neue Kontakte zwischen der Delegation und irakischen Organisationen geknüpft werden, zum Beispiel mit Nichtregierungsorganisationen, Universitäten, Krankenhäusern?

Vor allem weil wir uns auf die Frage der abgereicherten Uranmunition konzentrierten, haben wir in dem Bereich hervorragende Kontakte bekommen. Es ist beeindruckend, wie Ärzte und Wissenschaftler für einen Hungerlohn sich abmühen, die Wahrheit über die Verseuchung ihres Landes an die Weltöffentlichkeit zu bringen. Dazu kommt, dass wir alle uns völlig frei überall bewegen konnten. Wir sind rausgegangen, haben Leute auf der Straße getroffen, sich verabredet und Adressen ausgetauscht. Jeder konnte sich überzeugen, dass es keinen Rassismus hier gibt, niemand wurde angegriffen. Die Leute waren sehr freundlich. Auch die Veteranen, die mit uns gefahren sind, waren überwältigt von der Wärme, die ihnen entgegengebracht wurde. Sie fragten sich, "Was haben wir hier gemacht, was tun wir den Leuten hier immer noch an?" Doch, ich würde sagen, die Delegation war wirklich ein Erfolg. Allerdings bin ich hier auch voll in der Organisation eingebunden, da kriegt man natürlich einen anderen Eindruck. Die Gastgeber haben uns sehr geholfen und ich denke, auch die Journalisten können sich nicht beschweren, ebenso wie wir. Nun werden wir sehen, wie es weitergehen wird.

Was steht für die weitere Arbeit in Europa an?

Wir arbeiten in Unterkommissionen zu bestimmten Themen: Gesundheit, Bildung, DU, Frauen und Kultur und alle haben nun Projekte in Planung. Die Bildungskommission will beispielsweise für eine Schule in Basra Ausrüstung besorgen, die Kommission zu abgereicherter Uranmunition hat hier eine Menge Material erhalten und wird das verbreiten, die Gesundheitskommission will für eine Klinik in Basra ein Spektrometer kaufen und ein Reanimationsgerät. Wir haben also eine Menge in Richtung humanitärer Projekte vor. Was die politische Seite betrifft, steht die Forderung nach Aufhebung der Sanktionen an erster Stelle. SOS Children of Iraq hat inzwischen in verschiedenen Ländern Schwesterorganisationen und wir werden vor allem über unsere Webseite eine Diskussion darüber beginnen, wie wir länderübergreifend daran arbeiten können, das die Sanktionen aufgehoben werden. (www.irak.be) Das ist eine große Arbeit, aber ich denke, es ist der einzige Weg, in Kontakt zu bleiben und die Kräfte zusammenzubringen, um so etwas, wie diese Delegation wieder organisieren zu können.

Und ist die nächste Delegation schon in Planung?

Nein, nicht wirklich. Es gibt derzeit eine parallele Delegation, die streng wissenschaftlich arbeitet, sie machen Untersuchungen im Bereich der Genetik. Ophtalmologen aus Europa arbeiten hier, haben Geräte mitgebracht und arbeiten mit irakischen Kollegen zusammen, um sie in die Geräte einzuweisen. Irak darf nicht vergessen werden, das Land muss wieder einen Platz in der Presselandschaft bekommen. Nicht so wie jetzt, mit Spekulationen über einen neuen Krieg ja oder nein, sollen wir von Norden oder Süden intervenieren, wer soll Saddam Hussein ersetzen, nein, so eine Diskussion brauchen wir nicht. Es gibt hier 23 Millionen Menschen, die unter den Sanktionen zu leiden haben. Dafür ist vor allem die USA verantwortlich, denn sie sorgt dafür, dass viele der Verträge im UN-Sanktionskomitee auf Eis liegen. Also lasst uns endlich die Sanktionen beenden, Irak soll leben können.

(Volltext, Interview: Karin Leukefeld, Bagdad, 25. April 2002)