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Die größte Gefahr für die USA und die Menschheit

Wie die Vereinigten Staaten den Krieg gegen Irak politisch und militärisch vorbereiten

Peter Rudolf beschreibt mehrere Szenarien und Optionen

Frankfurter Rundschau,  07.08.2002

Ein möglicher Krieg der USA gegen Irak ist jetzt auch zum innenpolitischen Thema im Vorfeld der deutschen Bundestagswahl geworden. Wie die US-Amerikaner diskutieren, hat Peter Rudolf analysiert. Unter dem Titel "Pr.äventivkrieg als Ausweg?" ist sein umfänglicher Report als SWP-Studie (S 23) der Stiftung Wissenschaft und Politik, Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit, Ludwigkirchplatz 3-4, 10719 Berlin, Tel. 030 - 88 00 70, Fax - 88 00 71 00, erschienen und kann dort auch bestellt werden

1. Eine veränderte Debatte

(. . .) Die Bedrohung durch den globalisierten transnationalen Terrorismus, die mit den Anschlägen am 11. September 2001 zu einer strategischen Herausforderung wurde, stärkte die gewachsene Struktur des "Sicherheitsstaates". Schon lange vor dem 11. September standen in der Wahrnehmung der amerikanischen Öffentlichkeit Massenvernichtungswaffen ganz oben auf der Liste "kritischer Bedrohungen" - nur überboten durch die Gefahr des Terrorismus. (. . .)

Die geradezu alarmistische Sprache, derer sich Präsident Bush bedient, die Rede von einer ungeheuren Bedrohung auf lange Sicht, die eine immense Steigerung des Militärhaushaltes erfordere - all dies dient gegenwärtig einer permanenten Mobilisierung und der innenpolitischen Absicherung amerikanischer Außenpolitik.

Zweitens - und das ist der andere Aspekt der Rede vom "transformativen Moment" - eröffnet die globale Bedrohung durch den Terrorismus die politische Chance für eine strategische Neuausrichtung der amerikanischen Weltpolitik und der internationalen Beziehungen weit über die Bekämpfung des Terrorismus hinaus: "How do you capitalize on these opportunities" - so lautete die Frage, die Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice ihren Mitarbeitern im NSC vorlegte. Aus ihrer Sicht befinden sich die USA in einer Zeit vergleichbar der zwischen 1945 und 1947, als die amerikanische Weltpolitik unter dem Vorzeichen der weltweiten kommunistischen Bedrohung eine neue Gestalt annahm und die Doktrin der "Eindämmung" zum organisierenden Prinzip amerikanischer Außenpolitik wurde. Jetzt sehen sich die USA in einem lange währenden "Krieg" nicht nur gegen terroristische Organisationen, sondern auch gegen jene "Terrorstaaten", die die Sicherheit der USA und ihrer Verbündeten mit Massenvernichtungswaffen bedrohen könnten.

Galt der Kampf ursprünglich dem Terrorismus globaler Reichweite und den ihm Unterstützung gewährenden Staaten und kam dann das Thema Massenvernichtungswaffen in den Händen von Terroristen hinzu, so verschob sich bald der Akzent auf terroristische Staaten, die die Welt mit Massenvernichtungswaffen bedrohen wollen. Damit wird der Krieg gegen den Terrorismus vor allem staatszentriert geführt. (. . .)

Mit diesem Programm und dieser Sicht der terroristischen Bedrohung übernahm der Präsident das Paradigma jener Vertreter eines hegemonialen, sich in der Tradition Reagans sehenden und auf "militärische Stärke und moralische Klarheit" setzenden Internationalismus.

Eines ihrer zentralen Anliegen ist der Sturz des irakischen Diktators Saddam Hussein. Die "Falken" wollen den Krieg gegen den Terrorismus als Begründung für ein aus ihrer Sicht längst überfälliges militärisches Vorgehen gegen das irakische Regime nutzen. Der Präsident und führende Vertreter der Administration legitimierten in ihrer Rhetorik grundsätzlich das, worum es im Kern der Irak-Debatte geht: um einen "Präventivkrieg" gegen eine sich angeblich immer mehr zuspitzende Bedrohung. Vorgedacht wurde dies vor allem von Richard Perle, einem der zentralen Akteure im Netzwerk jener (Neo-)Konservativen, die Saddam Hussein zur größten Gefahr für die USA und die Menschheit zu stilisieren versuchen.

Terroranschläge ließen sich, so der erste Schritt in der Argumentation, am ehesten verhindern, wenn gegen die staatlichen Unterstützer des Terrorismus vorgegangen werde; dann ließen sich Terroranschläge auf gelegentliche vereinzelte Akte von Individuen reduzieren. Zweitens habe Irak Beweggründe und Mittel für die Unterstützung terroristischer Anschläge gegen die USA. Deshalb laute die Frage: Sollen die USA warten, bis Saddam Hussein anonyme Terroristen mit Massenvernichtungswaffen ausstatte, "or do we take some preemptive action?" Der Sturz des irakischen Regimes hätte, so der dritte Schritt der Argumentation, eine warnende Funktion für andere Staaten, die den Terrorismus unterstützen.

Die Regimesturzbefürworter haben damit erfolgreich die Debatte in den USA mit ihren Topoi geprägt: Irak gilt als "clear and present danger", ein "just cause for action" als gegeben. Die Bedrohung durch den globalen transnationalen Terrorismus nutzend, sind sie ihrem seit einigen Jahren verfolgten Ziel ein gutes Stück näher gekommen: die amerikanische Außenpolitik klar auf den Sturz des irakischen Diktators festzuzurren. (. . .)
2. Entschlossenheit auf der Suche nach einer Strategie: Die Bush-Administration

"We're taking him out." Nach dem Willen von Präsident Bush soll Saddam Hussein gestürzt werden - und zwar bis spätestens gegen Ende seiner (ersten) Amtszeit. Noch bevor der palästinensisch-israelische Krieg ein langsames Vorgehen gegenüber Irak nahe legte, hatte das Weiße Haus einen längeren Zeithorizont im Sinne als manche "Falken" im Pentagon. Die Debatte in der Administration dreht sich um den genauen Zeitpunkt und die Art des Vorgehens.

Die diskutierten Optionen reichen von der Unterstützung eines Staatsstreiches über die Organisation eines von den USA militärisch abgestützten Aufstandes im Lande bis hin zu einem Einsatz amerikanischer Bodentruppen. Die zivile Führung des Pentagons scheint hinter dem vom Iraqi National Congress, der nominellen Dachorganisation der Opposition, propagierten Plan zu stehen, der auf der Prämisse beruht, dass ein militärisches Vorgehen sofort eine Absatzbewegung vom Regime auslösen wird. Der INC hat nach dem 11. September diesen Plan in die Debatte eingespeist, der Ende 2001 auf dem Weg über eine von Wolfowitz eingesetzte Planungsgruppe im Pentagon den Joint Chiefs of Staff zur Bewertung vorlag. Der Plan wurde mit Hilfe des pensionierten Vier-Sterne-Generals Wayne Downing ausgearbeitet, der im Oktober 2001 von Präsident Bush zu dem für die Terrorismusbekämpfung zuständigen Deputy National Security Adviser ernannt wurde (und im Juni 2002 seinen Rücktritt erklärte).

Der Plan sieht den Aufbau von sechs Bataillonen mobiler Kräfte des INC vor, die einen begrenzten Angriff irakischer Truppen zurückschlagen könnten, den Einsatz einiger tausend amerikanischer Special Forces und amerikanische Luftangriffe. Aufständische sollen von Iran aus in den Süden des Irak einsickern, dort Stützpunkte aufbauen und eine provisorische Regierung ausrufen, die dann umgehend von den USA anerkannt werden sollte.

Luftangriffe würden beginnen, Spezialkräfte in den Süden des Landes geflogen; im Norden des Landes würden die Signale auf Angriff stehen, innerhalb des irakischen Militärs würde schnell eine Erosion einsetzen, Saddam Hussein sähe sich vor die Alternative gestellt, seine Elitetruppen in den Süden zu schicken oder aus Angst vor einem Angriff aus dem Norden um Bagdad herum stationiert zu lassen.

Ein anderer Ansatz schien unter dem Eindruck des Erfolgs in Afghanistan bei den internen Beratungen zunächst Anklang zu finden, nämlich sich eher auf das irakische Militär zu stützen - und zwar nicht im Sinne der alten vergeblichen Hoffnung, dass sich in der Führung des Militärs jemand zum Staatsstreich gegen Saddam Hussein bereit finden könnte, sondern dass in den Rängen des Militärs unter dem Eindruck amerikanischer Luftangriffe eine Absatzbewegung stattfinden könnte und dass die Deserteure in eine schlagkräftige Truppe gegen das Regime umgewandelt werden können. Hier spielt eindeutig die Afghanistan-Erfahrung hinein. (. . .) Modell ist die Kriegführung in Afghanistan, nämlich Luftangriffe mit modernsten Waffen in Koordination mit Kräften auf dem Boden.

Doch bei den Beratungen der militärischen Führung wurde das "afghanische Modell" als ungeeignet verworfen, da eine zum Kampf bereite Streitmacht auf dem Boden wie die Nordallianz in Afghanistan im Falle Iraks fehle. General Franks, Centcom-Befehlshaber, bestand bei den internen Planungen auf einem massiven, sorgfältig geplanten Aufbau militärischer Kräfte in der Region. Denn für eine groß angelegte militärische Aktion gegen Irak bedarf es einer längeren Vorbereitungszeit. Die Bestände an zielgenauen Bomben (Joint Direct Attack Munitions) müssen erst aufgefüllt werden. Die Belastungen für Soldaten und Reservisten durch Afghanistan, die Notwendigkeit, regionale Stützpunkte benutzen zu können - all dies legte eine längere Zeitspanne nahe (auch wenn aus dem Pentagon Stimmen zu vernehmen waren, dass ein Mangel an satellitengesteuerten zielgenauen Bomben die USA nicht von einer Aktion abhalten würde).

Nach Auffassung im Pentagon ist für einen Krieg gegen Irak, der auch Bodentruppen umfassen müsste, ein Aufmarsch von bis zu 250 000 Soldaten notwendig, müssten zusätzliche Einheiten der Reserve und der Nationalgarde mobilisiert werden. Wie viele Stützpunkte in der Region für die erforderlichen 700 bis 800 Flugzeuge benötigt werden, ist unter Militärplanern umstritten.

Bei den Beratungen der Militärs spielten vor allem zwei Sorgen eine große Rolle: zum einen, dass ein vor dem Sturz stehender irakischer Diktator B- und C-Waffen einsetzen könnte; zum anderen, dass amerikanische Truppen am Ende in einen Häuserkampf in Bagdad verwickelt würden, bei dem tausende amerikanischer Soldaten und irakischer Zivilisten den Tod fänden. Über das von den Joint Chiefs of Staff gebilligte "concept of operations" - um einen detaillierten schrittweisen "Plan" im militärischen Verständnis handelte es sich dabei nicht - mit dem Ziel des Regimesturzes informierte General Franks den Präsidenten Anfang Mai 2002 in einem Briefing. Das Operationskonzept sieht einen Einmarsch in Irak und den Einsatz von mindestens 200 000 Soldaten vor - von "Desert Storm Lite" ist im Pentagon die Rede, bei Kritikern in den Reihen der Militärs auch von der Risikoscheu der Joint Chiefs of Staff.

Diese haben mit ihren Planungsüberlegungen zum Abklingen der, wie es ein General ausdrückte, "Irak-Hysterie" in Teilen der Bush-Administration beigetragen. Die Einschätzung hochrangiger amerikanischer Militärs, dass mit einem militärischen Vorgehen gegen Irak nicht vor 2003 zu rechnen ist, dürfte zutreffen.

Doch aufgeschoben heißt nicht, dass Präsident Bush auf Grund der sachlichen Bedenken des Militärs in der Irak-Frage - die ja keine grundsätzlich Opposition bedeuten - einknicken könnte, wie das konservative Kommentatoren befürchten. Hellhörig wurden diese auch durch Bushs Bemerkung während seiner Europareise, er habe keine Kriegspläne - um einen "Plan" im strikten Sinne handelt es sich bei dem ihm vorgelegten Operationskonzept ja nicht - und werde die Verbündeten konsultieren. Vorsorglich haben ihn einige Falken daran erinnert, dass seine Glaubwürdigkeit und die der USA auf dem Spiel stünden, wenn er vom Sturz Saddam Husseins abrücken würde.

Möglich wäre dies dem Präsidenten, denn in seinen offiziellen öffentlichen Äußerungen hat er sich keineswegs eindeutig festgelegt. Das erklärte Ziel des "Regimewechsels" ließe sich auch im Sinne von Außenminister Powell interpretieren, der, wenn er in mitunter starken Worten davon spricht, die sich entwickelnde Strategie in die Kontinuität einer schon immer angelegten Politik des "regime change" stellt und Sanktionen sowie die Unterstützung für die Opposition als Elemente dieser Politik hervorhebt.

Verteidigungsminister Rumsfelds Äußerung, dass es viele Möglichkeiten gebe, einen Regimewandel herbeizuführen, und ein Feldzug in Irak sei nur eine davon, zeugt von einer gewissen Ernüchterung auch in der zivilen Führung des Pentagons.

Doch eine Kehrtwende in der Irak-Politik würde Präsident Bush, wie immer auch verbrämt, heftiger Kritik aus der eigenen Partei aussetzen, hat er doch die irakische Bedrohung so sehr betont. Zwar mag die Intensivierung "verdeckter Operationen" gegen das irakische Regime vorübergehend als Untermauerung einer Politik des "regime change" dienen. Nach Einschätzung der CIA ist die Chance jedoch gering, dass Saddam Hussein durch "verdeckte Operationen" oder einen Staatsstreich gestürzt werden kann.

Die längerfristigen militärischen, geheimdienstlichen und politischen Vorbereitungen für eine Intervention, sollte sie vom Präsidenten angeordnet werden, sind längst im Gange. Die in Kuwait stationierten Truppen wurden verstärkt, Flughäfen in Kuwait, Bahrain, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Oman werden ausgebaut, der Luftwaffenstützpunkt in Katar wird als alternative Kommandozentrale aufgebaut, da die amerikanischen Militärplaner davon ausgehen müssen, dass die Einrichtungen in Saudi-Arabien für eine Intervention in Irak nicht zur Verfügung stehen werden. In Katar unterliegen dagegen amerikanische Militäroperationen keinen Beschränkungen. Auch die geheimdienstlichen Operationen gegen das irakische Regime wurden im Laufe des Jahres 2002 intensiviert.

Präsident Bush hat amerikanische Einsatzkräfte autorisiert, Saddam Hussein zu töten, sofern sie in Selbstverteidigung handeln. In erster Linie dienen die geheimdienstlichen Maßnahmen der Vorbereitung eines militärischen Vorgehens - etwa über die Identifizierung möglicher Ziele.

Politisch geht es bei der Vorbereitung eines Regimesturzes zunächst um den Aufbau einer einigermaßen geeinten politischen Opposition als Alternative zum gegenwärtigen Regime, damit nach einem Regimesturz möglichst kein Machtvakuum entsteht. Doch innerhalb der Administration ist es strittig, auf welche der Oppositionsgruppen man sich vorrangig stützen soll: die beiden kurdischen Organisationen, den Iraqi National Accord, der sich vor allem aus früheren Mitgliedern der herrschenden Baath-Partei zusammensetzt, oder den schiitischen Obersten Rat für die Islamische Revolution im Irak.

Anders als die zivile Führung des Pentagons und der Stab des Vizepräsidenten glaubt man im State Department und bei der CIA nicht, dass die Führung des Iraqi National Congress tatsächlich die einigende Kraft sein kann. (. . .) Doch die Bemühungen um den Aufbau einer "Regierung im Wartestand" gehen voran.

In rund einem halben Dutzend Arbeitsgruppen sollen irakische Oppositionelle zusammen mit westlichen Experten eine Vielzahl politisch, rechtlich, ökonomisch und militärisch wichtiger Fragen im Hinblick auf die Zeit nach dem Sturz des gegenwärtigen Regimes diskutieren. Anders als in Afghanistan soll mit dem "nation building" frühzeitig begonnen werden.

Noch ist keineswegs gewiss, worin die militärischen und politischen Vorbereitungen münden werden. Allein mit dem Aufbau einer Drohkulisse - in der Rhetorik, aber auch in der Realität - hat die Bush-Administration international bereits die Irak-Debatte verändert. Die Erwartung, dass sie zu einem Krieg mit Irak bereit ist, verlieh der Frage neuer Rüstungsinspektionen einen ganz anderen Stellenwert.

Die Hoffnung vielerorts, dass sich mit neuen Inspektionen ein Krieg vermeiden lasse, erhöhte den internationalen Druck auf die irakische Regierung. Lenkt sie in dieser Frage nicht ein, dann könnte, wenn die militärischen Planungen weiter vorangeschritten sind, ein Ultimatum an Irak zu erwarten sein, ein neues Rüstungsinspektionsregime zu akzeptieren. Auf dieses Vorgehen könnten sich möglicherweise alle wichtigen Akteure innerhalb der Administration verständigen - manche, die einer militärischen Intervention skeptisch gegenüberstehen, vielleicht in der Hoffnung, Saddam Hussein werde einlenken; entschiedene Befürworter des Regimesturzes in der Erwartung, dass er nicht einlenkt und ein militärisches Vorgehen an Legitimität gewinnen würde.

Berichten und öffentlichen Äußerungen ist zu entnehmen, dass die Administration in der Bewertung neuer Inspektionen gespalten ist zwischen Außenminister Powell auf der einen und Verteidigungsminister Rumsfeld auf der anderen Seite.

Powell ließ Anfang März 2002 in einem Interview mit CNN erkennen, dass er Rüstungsinspektionen nach wie vor als nützlich ansieht. (. . .) Rumsfeld ist offenbar der Ansicht, dass Inspektionen nicht in der Lage wären, die vermuteten Rüstungsprogramme aufzuspüren.

Ob die Forderung nach neuen Inspektionen nur taktisch im Sinne der Legitimierung eines militärischen Vorgehens zu verstehen ist oder nicht - die Messlatte für ein neues Rüstungsinspektionsregime wird sehr hoch gelegt werden. (. . .)

Rumsfeld machte sehr deutlich, dass das neue Inspektionsregime, das die USA fordern werden, "more intrusive" und mit mehr Inspektoren ausgestattet sein müsste als das alte. Die irakische Regierung soll keinerlei Kontrolle über Zeit, Ort und Umfang dessen haben, was die Inspektoren tun dürfen. (. . .) Das scheint die Erwartung, ja Hoffnung in Teilen der Bush-Administration zu sein. Die Ablehnung Iraks, solche Inspektionen zu akzeptieren, verliehe dann militärischen Optionen die international und innenpolitisch wünschenswerte Legitimität.

Doch was geschieht, wenn Saddam Hussein neue Inspektionen akzeptieren und so die amerikanischen Interventionspläne unterlaufen würde? Der Forderung nach neuen Rüstungsinspektionen lag innerhalb der Administration die Einschätzung zu Grunde, das Risiko sei gering, dass Saddam Hussein nachgeben werde.

Trifft die Einschätzung eines nicht namentlich genannten "top senate foreign policy aide" zu, dann ist ein mögliches Eingehen der irakischen Führung auf die Bedingungen eine große Sorge im Weißen Haus. Auch innenpolitisch würde es schwerer, eine Militäraktion zu rechtfertigen. Doch selbst wenn Irak die striktesten Bedingungen erfüllen sollte - bei der Durchführung der Inspektionen wären gewiss irakische Blockaden zu erwarten. (. . .)
3. Strategische Risiken und Ungewissheiten

Eine militärische Intervention würde unterschiedlich aussehen, je nachdem, ob sie ein Instrument im Rahmen der Eindämmungspolitik ist oder direkt dem Ziel des Regimesturzes dient. Im Kontext der Eindämmungspolitik sind zwei Optionen zu unterscheiden: zum einen die direkte Zerstörung von Einrichtungen zur Rüstungsproduktion, zum anderen Militärschläge im Rahmen einer "coercive diplomacy" mit dem Ziel, Saddam Hussein zur Akzeptanz eines Rüstungsinspektionsregimes zu bewegen. Militärschläge mit diesem Ziel werden sich vor allem gegen die Stützen des Regimes richten müssen, insbesondere gegen die Sicherheitskräfte und Eliteeinheiten des Militärs. Denn allein eine Gefährdung seiner Machtposition, nicht aber sonstige Schäden für das Land, dürften das Kosten-Nutzen-Kalkül Saddam Husseins beeinflussen.

In der Anfangsphase würde es, gleich ob Eindämmung oder Regimesturz das Ziel ist, darum gehen, die Luftverteidigung und die Kommando- und Kontrolleinrichtungen auszuschalten - mit Flugzeugen, die von Trägern im Roten Meer und im Persischen Golf sowie von Stützpunkten in der Region aus starten. Daneben könnte Ziel auch die Durchsetzung von "No Movement"-Zonen sein, damit amerikanische Spezialkräfte auf dem Boden ungehindert Einrichtungen zerstören können.

Da Irak mit solchen Luftschlägen rechnen muss, werden Republikanische Garden und Rüstungseinrichtungen vermutlich in der Nähe von zivilen Einrichtungen positioniert und wird das irakische Regime die Zivilbevölkerung vermutlich ohne Skrupel als Geisel nutzen.

Bereits in dieser Phase müsste mit einer größeren Zahl von Opfern unter der Zivilbevölkerung gerechnet werden - es sei denn, man würde die Angriffe auf Rüstungsanlagen beschränken und diese ausschließlich mit Präzisionsbomben ausführen. Selbst wenn die USA Irak über einige Wochen hinweg bombardieren, unterstützt von Kräften auf dem Boden, ist keineswegs sicher, dass damit alle zur Produktion von Massenvernichtungswaffen und Raketen geeigneten Anlagen ausgeschaltet werden können.

Die USA haben zwar im Vergleich zu "Desert Storm" enorme Fortschritte bei der Erfassung von Zielen und ihrer punktgenauen Bekämpfung gemacht. Doch ist mit ausgeklügelten irakischen Tarn- und Täuschungsmanövern zu rechnen, die eine vollständige Zerstörung aller Anlagen unwahrscheinlich machen - wenn nicht die Sorge vor "Kollateralschäden" aus freigesetzten Giftstoffen in manchen Fällen Luftangriffe von vornherein als ungeeignete Option erscheinen lässt.

Ob Saddam Hussein nach einigen Wochen heftiger Bombenangriffe einlenkt und Rüstungsinspektoren ins Land lässt, ist schwer zu sagen. Selbst wenn er die Bereitschaft dazu erkennen ließe, dürfte es mehr als zweifelhaft sein, ob die Bush-Administration vom erklärten Ziel des Regimesturzes abließe. Sie würde sich innenpolitisch einer beträchtlichen Kritik aussetzen. Die politische Dynamik dürfte daher eher in Richtung einer Fortsetzung des Krieges gehen.

Besteht das Ziel einer militärischen Intervention im Sturz des Regimes, so werden Luftangriffe und begrenzte Einsätze mit Spezialkräften nicht ausreichen. Der "afghanische Ansatz" wird in Irak kaum funktionieren, da Saddam Hussein zu Gegenangriffen übergehen kann: mit Raketen, die aus der Luft und mit Spezialkräften auf dem Boden wohl genauso wenig vollständig auszuschalten wären wie im Golf-Krieg. Außerdem könnte Saddam Hussein durchaus die eigenen Ölfelder zerstören (mit enormen Konsequenzen für die Ölversorgung), wenn die USA diese nicht schnell besetzen würden.

Die Planungen im Pentagon legen, soweit bekannt, inzwischen eher eine Neuauflage des Golf-Krieges zu Grunde, jedoch geführt mit moderneren Waffen und dynamischeren Taktiken. Schon um irakische Soldaten zum Überlaufen und insbesondere die kurdischen Kräfte zum Kampf zu bewegen, wird es einer amerikanischen Truppenpräsenz bedürfen - um zu demonstrieren, dass es den USA mit dem Sturz des Baath-Regimes ernst ist.

Doch auch dann ist keineswegs sicher, dass die irakische Armee unter dem Eindruck massiver Luftangriffe schnell auseinander brechen würde. Aus dem Norden und Süden möglicherweise vorrückende Kräfte der Opposition müssten gegen die mit 2000 Panzern und 2100 Artilleriegeschützen ausgestatteten Regierungstruppen (400 000 Mann, darunter 100 000 in der Republikanischen Garde) geschützt werden. Das hieße vermutlich eine massive Luftkriegführung über Monate.

Zu erwarten ist, dass die irakische Führung ihre Streitkräfte nicht wieder derart exponiert in freiem Gelände den amerikanischen Angriffen aussetzt wie im Golf-Krieg, sondern ihre Kräfte in besiedelten städtischen Gebieten konzentriert. (. . .)

Was wird passieren, wenn das irakische Regime vor einer Niederlage und damit vor dem Sturz steht: Wird dann Abschreckung ausreichen, um Saddam Hussein vor dem Einsatz von Massenvernichtungswaffen abzuhalten, sofern Irak über B- und C-Waffen verfügen sollte, womit gerechnet werden muss? Im Golfkrieg hatten die USA die eindeutige Drohung ausgesprochen, das Regime Saddam Husseins zu stürzen, sollte der Irak Massenvernichtungswaffen einsetzen.

Der damalige Außenminister Baker hatte im Gespräch mit seinem irakischen Amtskollegen die Warnung in unmissverständlicher Form dargelegt, ein nicht namentlich genannter "senior official" wiederholte öffentlich die Drohung, mit der Irak von einem Einsatz chemischer Waffen abgehalten werden sollte. Wenn bei einem Krieg gegen Irak jetzt ausdrücklich der Sturz des Regimes das Ziel ist, Saddam Hussein nichts mehr zu verlieren hat und im Falle des Regimezusammenbruchs mit dem Tod rechnen muss, dann entfällt dieses Element der Abschreckung - es sei denn, man bietet ihm den Ausweg ins Exil an, sollte er keine Massenvernichtungswaffen einsetzen. (. . .)

Copyright © Frankfurter Rundschau 2002
Dokument erstellt am 06.08.2002 um 21:35:16 Uhr
Erscheinungsdatum 07.08.2002