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Vorgeschichte eines angekündigten Krieges

Joachim Guilliard (Ossietzky 18/2002)

(s. auch den ausführlicheren Beitrag Der Irak, ein belagertes Land - Vorgeschichte und Hintergründe eines angekündigten Krieges)

Am 24./25. September werden sich die NATO-Staaten voraussichtlich in Warschau über den Krieg gegen den Irak verständigen. Die deutsche Bundestagswahl ist dann vorüber. Im gegenwärtigen Wahlkampf äußern Kanzler Schröder und Außenminister Fischer gelegentlich Vorbehalte, die aber nicht als strikte Ablehnung zu verstehen sind, sondern sich auf Dringlichkeit und Machbarkeit sowie auf die möglichen Risiken für das Anti-Terror-Bündnis und die Stabilität in der Region beziehen – Bedenken also, die Washington nach den Wahlen irgendwie ausräumen kann, vor allem wenn völkerrechtliche Einwände auf die Frage eines UNO-Mandats reduziert werden.

Die USA halten nach einem Bericht des Stratfor-Instituts Schröders Äußerungen für Wahlkampfshow. Ohnehin benötigen sie von Deutschland keine Beteiligung von Truppen an dem geplanten Krieg, ihnen würde es genügen, wenn Deutschland zuläßt, daß sie ihre hiesigen Militärbasen nutzen dürfen. Bereits 1991, als die USA zum ersten Mal gegen den Irak zu Felde zogen, übernahm Deutschland diese wichtige Aufgabe: 13 von 29 dort eingesetzten Einheiten der US-Armee sowie drei Fliegerstaffeln kamen von hier, und über Flughäfen in Deutschland lief der größte Teil des Nachschubs.

Unabhängig davon, ob die wahlkämpfenden Parteien einem Feldzug "skeptisch gegenüberstehen" (SPD) oder gerne die "Drohkulisse gegen Saddam" aufrechterhalten möchten (CDU), eine inhaltliche Debatte über die im wesentlichen von den USA bestimmte westliche Irakpolitik findet kaum statt.

Kriegerisch ist diese Politik seit langem – auch ohne neuen Einmarsch. Schon seit zwölf Jahren gleicht der Irak einer belagerten, ausgehungerten, durch Bomben verwüsteten Stadt, die nach wie vor unter regelmäßigem Beschuß liegt. Allein seit Januar 1999 fielen nach irakischen Angaben mehr als 300 Menschen den ständigen Luftangriffen zum Opfer.

Den ursprünglichen Anlaß für die Belagerung gab das Regime im Irak selbst. Zehn Tage nachdem die US-Botschafterin April Glaspie der irakischen Führung versichert hatte, "keine Meinung zu arabisch-arabischen Konflikten wie Ihren Grenzstreitigkeiten (mit Kuwait; J.G.) zu haben", marschierten irakische Truppen am 2. August 1990 in Kuwait ein (das Scheichtum war einst Teil des Irak gewesen, bevor die britische Kolonialmacht es abgetrennt hatte). Nur vier Tage später nahm der UN-Sicherheitsrat einen US-amerikanischen Vorschlag an und verhängte ein umfassendes Wirtschaftsembargo gegen das Land. Obwohl viele Länder zu vermitteln versuchten und die irakische Führung mehrfach ihre Bereitschaft zum Rückzug signalisiert hatte, wenn nur einige wenige nicht unberechtigte Forderungen des Irak berücksichtigt würden, scheiterten alle Friedensbemühungen an der Haltung der USA, die konsequent jede Verhandlungslösung blockierte.

Der Belagerungsring zog sich zusammen. Nachdem die USA sich und ihre Verbündeten im November 1990 durch den UN-Sicherheitsrat zum militärischen Angriff ermächtigt hatten, begann am 17. Januar 1991 der Bombenkrieg. In 43 Tagen wurde der größte Teil der irakischen Infrastruktur zerstört, und nach vorsichtigen Schätzungen fielen 150 000 Menschen den Hightech-Waffen der alliierten Luftstreitmacht zum Opfer. Die Angreifer hatten dagegen weniger als 200 Tote zu beklagen, vorwiegend durch Unfälle und "friendly fire".

Nach Beginn einer alliierten Bodenoffensive zogen sich die irakischen Truppen Ende Februar 1991 aus Kuwait zurück. Erst Tage später endeten die Kampfhandlungen, die Belagerung jedoch blieb.

Obwohl der Irak nun alle Forderungen des Sicherheitsrates erfüllt hatte, wurden die Sanktionen nicht aufgehoben, sondern mit neuen Forderungen verknüpft, darunter Offenlegung und Einstellung aller Programme zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen.

Im Gegensatz zu Deutschland, das im Zweiten Weltkrieg weite Teile Europas verwüstet hatte, aber nachher internationale Aufbauhilfen erhielt, wurde der Irak gewaltsam gehindert, seine zerstörte Infrastruktur, zum Beispiel die Wasserversorgung, wieder aufzubauen. UN-Organisationen vor Ort berichteten bereits 1991 über die katastrophalen Folgen vor allem für die schwächsten Glieder der Gesellschaft. Zuvor gut beherrschte Krankheiten breiteten sich rapide aus, die vorbildlichen unentgeltlichen Gesundheits- und Bildungssysteme brachen zusammen – ein hoch entwickeltes Land, das die Grundversorgung der Bevölkerung in allen wesentlichen Bereichen hatte sichern können, wurde von Hilfslieferungen abhängig.

Auch wenn der Belagerungsring sich im Lauf der Jahre lockerte, forderte die Blockade bisher nach Schätzungen von UN-Organisationen mehr als eine Million Menschenleben – das "stille Äquivalent zu zehn Hiroschimas" nannte es der Sprecher des UN-Welternährungsprogramms, Hannusch. Auch heute noch fallen monatlich weitere 5000 Menschen, vor allem Kinder, dem "sanktionierten Massenmord" zum Opfer, wie Noam Chomsky und Edward Said das Embargo charakterisierten.

Schon die ersten UN-Untersuchungsberichte 1991 wiesen auf die eklatanten Menschenrechtsverletzungen hin, unter denen die durch das Embargo zur Geisel genommene Bevölkerung zu leiden hat. Ein Gutachten für den Unterausschuß der UN-Menschenrechtskommission kam schließlich vor zwei Jahren zu dem Schluß, die Sanktionen gegen den Irak seien eindeutig illegal.

Die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO), zuständig für die Unterbindung des irakischen Atomwaffenprogramms, erklärte ihre Arbeit 1997 für abgeschlossen. Ein Jahr später waren auch die chemischen und biologischen Waffen und Produktionsstätten sowie die weitreichenden Raketen fast vollständig erfaßt und zerstört, wie die dafür zuständige UN-Kommission (UNSCOM) bekanntgab. Die USA aber forderten nun vom Irak den hundertprozentigen Nachweis, keine verbotenen Waffen und Produktionsanlagen mehr zu besitzen, und verhinderten so den formellen Abschluß der internationalen Mission; denn einen solchen Nachweis zu erbringen, ist praktisch unmöglich.

Der viertägige Bombenkrieg im Dezember 1998 machte dann jeglicher Rüstungskontrolle ein Ende. UNSCOM, vor dem Krieg bereits aus dem Irak abgezogen, war durch sich bestätigende Berichte über Spionagetätigkeiten eines Teils der Kontrolleure für den US-Geheimdienst völlig diskreditiert und wurde aufgelöst. Die Sanktionen aber blieben auf Druck der USA größtenteils bestehen.

Verständlich wird diese Politik vor dem Hintergrund, daß die unversöhnliche Feindschaft der Supermacht gegen das Baath-Regime weder mit dem Überfall auf Kuwait noch mit irakischen Aufrüstungsprogrammen begann, sondern schon mit der Nationalisierung der Ressourcen des Landes Anfang der 70er Jahre und nur eine Zeitlang von der Feindschaft gegen den Iran überlagert wurde, denn nach dem Sturz des Schahs sahen die USA im Iran unter Ajatollah Khomeini das größere Übel. Sie ermunterten den Irak zum Krieg gegen den Iran, dem "Ersten Golfkrieg", und sie gaben dem Irak, als sich nach Anfangserfolgen das Blatt gegen ihn zu wenden drohte, auch massive militärische Unterstützung. Der Irak erhielt aus dem Westen auch Material und Geräte zur Herstellung chemischer Waffen, die er mit stillschweigender Duldung der Lieferländer gegen iranische Truppen sowie mit ihnen verbündete kurdische Kräfte einsetzte.

Gleichzeitig belieferten die USA aber auch den Iran mit Waffen, denn am liebsten hätten sie keinen Sieger und kein Ende des Ersten Golfkriegs gesehen. Der irakische Überfall auf Kuwait gab den USA schließlich die Gelegenheit, den zur relativ unabhängigen Regionalmacht aufgestiegenen Irak wieder an die Kette zu legen. Die derzeitige US-Regierung, mit dem Ölgeschäft verbunden wie keine zuvor, strebt nun nach unmittelbarem Zugriff auf das irakische Öl und plant deswegen den Sturm auf das belagerte Land.

Der Irak verlangt vor seinem Einverständnis mit neuen Rüstungskontrollen klare Kriterien für deren Abschluß sowie Garantien, daß die Kontrollen nicht wieder zur Ermittlung von Zielkoordinaten für nachfolgende Bombardierungen mißbraucht werden können. Dies sind nachvollziehbare Vorbedingungen. Angesichts der Entspannung, die im Verhältnis des Iraks zu seinen Nachbarn erreicht wurde, bestehen somit – entgegen allem Kriegsgeschrei auf beiden Seiten des Atlantiks – eigentlich gute Voraussetzungen für eine Lösung aller ausstehenden Fragen.

Ohne Unterstützung aus hochentwickelten westlichen Ländern kann der Irak keine Waffensysteme entwickeln, die eine Gefahr für andere Länder bedeuten. Absurd ist es, wenn ausgerechnet das Land, das das größte Arsenal an Massenvernichtungswaffen besitzt, solche auch schon eingesetzt hat und unverhüllt wieder mit dem Einsatz atomarer Waffen droht, sich zum Richter über ein anderes Land aufspielt. Unabhängig davon muß das Embargo gegen den Irak umgehend fallen, das der ehemalige US-amerikanische Justizminister Ramsey Clark kürzlich in einem Schreiben an die Mitglieder des UN-Sicherheitsrats das größte Verbrechen des letzten Jahrzehnts genannt hat. Auch eine demokratische Entwicklung wird im Irak erst wieder möglich werden, wenn die Belagerung beendet wird, die das repressive Regime nicht geschwächt, sondern gefestigt hat.


Ossietzky. Zweiwochenschrift für Politik / Kultur / Wirtschaft.
Unter Mitarbeit von Daniela Dahn, Dietrich Kittner und Peter Turrini
herausgeben von Rolf Gössner, Arno Klönne, Otto Köhler, Reinhard Kühnl und Eckart Spoo