"Ich wollte kein Kollaborateur sein"

Isam al-Khafaji, 18.7.2003
(Nachdruck im Guardian, 28.07.2003)

Am 9. Juli reichte ich schweren Herzens meinen Rücktritt von meinem Posten als Mitglied des irakischen Rats für Wiederaufbau und Entwicklung bei dem stellvertretenden US-Verteidigungsminister Paul Wolfowitz ein.

Ich tat dies voller Trauer, aber dadurch war es mir möglich, den Irak mit einem reinen Gewissen zu verlassen. Wenn ich noch etwas länger geblieben wäre, hätte ich das möglicherweise nicht mehr sagen können. Ich befürchtete, daß meine Rolle beim Rat für Wiederaufbau sich langsam von meiner ursprünglichen Vorstellung - mit Alliierten auf eine demokratische Art zusammenzuarbeiten - verändern würde zu einem Kollaborieren mit Besatzungsmächten.

Ich war im Mai nach Baghdad zurückgekehrt, ein paar Wochen nach dem Fall Saddam Husseins, mit großen Hoffnungen nach 25 Jahren des Exils von meinem Land. Es war eine der schwersten Entscheidungen meines Lebens, die Einladung der US-Regierung anzunehmen, mit 140 anderen Irakern zurückzukehren als Teil dieses Rates, der bei dem Nachkriegswiederaufbau und der Wiedereinsetzung der Ministerien helfen sollte, so daß der Irak einer Übergangsregierung übergeben werden könnte.

Mein Verständnis dieses Rates, der anfangs an den pensionierten General Jay Garner Bericht erstattete und jetzt dem zivilen Verwalter Paul Bremer untersteht, war, daß wir mit den irakischen Ministerien arbeiten würden, nicht als Minister, aber im Hintergrund als Berater. Sein Ziel war es, die schwer beschädigte irakische Infrastruktur - den Strom, die Krankenhäuser, die Wasserversorgung und die Transportwege - wiederherzustellen, zumindest bis zu ihrem Zustand vor dem Krieg, so daß das Land einer Übergangsregierung übergeben werden könnte.

Obwohl die Ratsmitglieder aus der ganzen Welt kamen, waren wir doch alle Iraker. Ich akzeptierte die Tatsache, daß wir ein besiegtes Land waren und hatte kein Problem damit, mit den USA zusammenzuarbeiten. Aber es schien kein Interesse auf seiten der Koalition zu geben, die Iraker als Berater für die Zukunft ihres Landes einzubeziehen. Unsere Rolle war sehr eingeschränkt. Selbst Reportern, die uns besuchten, fiel das auf und sie schrieben, daß, obwohl der Rat für den Wiederaufbau ein Büro innerhalb des Präsidentenpalastes hatte, dort anscheinend wenig getan wurde, außer, daß Mitglieder ihre Emails lasen.

Beim Fall Baghdads gab es eine euphorische Stimmung, aber die Amerikaner verhielten sich arrogant. Während viele Iraker erleichtert sind, daß Saddam weg ist und die Tatsache akzeptieren, daß die USA die einzige Macht ist, die auch nur den Anschein von Ordnung sicherstellen kann, sehen sie jetzt, daß sie sich als Besatzer aufführen.

Traurigerweise wurde die Vision einer Übergangsregierung und demokratischer Wahlen, die von Wolfowitz vorgebracht worden war, anscheinend zwischen den täglichen Dringlichkeiten des Nachkriegsirak vergessen. Wolfowitz ist nur ein Mitwirkender und es gibt im Irak noch viele andere, die nicht seine Vision teilen. Selbst die Soldaten hier sagen frei heraus, daß sie ihre Befehle von ihrem General und nicht von Bremer bekommen.

Erbitterte Streitigkeiten zwischen dem US-Verteidigungsministerium und dem US-Außenministerium beeinträchtigen weiterhin die Situation. Obwohl Bremer formell die Autorität im Irak besitzt, scheint jede einzelne Entscheidung zuerst nach Washington gehen zu müssen und wir sind die Opfer dieser Unentschlossenheit.

Irak ist jetzt in fast vollständigem Chaos. Niemand weiß, was vor sich geht. Wir sprechen hier nicht darüber, zu versuchen, ein perfektes politisches System zu erreichen. Die Leute können nicht verstehen, warum eine Supermacht, die so viel Militärmacht aufbieten kann, den Strom nicht wieder einschalten kann. Die Iraker vergleichen jetzt Saddams Fähigkeit, die Stromversorgung nach dem Krieg 1991 wiederherzustellen mit dem offensichtlichen Unvermögen der USA das zu tun. Es gibt alle möglichen Verschwörungstheorien.

Jetzt hat Bremer den irakischen Regierungsrat gegründet. 25 von der US-geführten Koalition handverlesene Repräsentanten sitzen zusammen, um über die Zukunft des Iraks zu beraten. Die Zusammensetzung ist nicht schlecht, aber nur wenige der Mitglieder haben eine nennenswerte Anhängerschaft im Land. Ob der Rat erfolgreich ist oder nicht hängt davon ab, ob seine Mitglieder in der Lage sind, einen Konsens zu finden. Ich fürchte, sie werden gegeneinander ausgespielt werden.

Um Erfolg zu haben müssen sie eine einheitliche Position zu Themen beziehen und Bremer sagen, er solle nach Washington gehen und dort sagen, daß "es das ist, was die Iraker wollen." Schließlich muß der Rat bereit sein zu sagen "Gebt uns die volle Autorität und wir werden euch um Rat fragen, wenn wir ihn brauchen."

Ich bin bisher das erste und einige Mitglied des Rats, das zurückgetreten ist. Es könnte noch andere geben, aber viele werden zweifellos weitermachen und auf das Beste hoffen. Ich für meinen Teil, wenn ich über das irakische Volk nachdenke - wie stark sie sind, wie hart sie arbeiten - bleibe ich für mein Land mittelfristig optimistisch.

Es gibt viele Anzeichen, daß Iraker zusammenarbeiten, ohne ernste Spannungen zwischen unterschiedlichen Volkszugehörigkeiten. All das sind gute Nachrichten für einen zukünftigen Irak. Kurzfristig befürchte ich aber weitere Konflikte, die mit irakischem und amerikanischem Blut ausgetragen werden.
 

Isam al-Khafaji ist Professor für Wirtschaftspolitik an der Universität von Amsterdam und Autor des demnächst erscheinenden Buches "Qualvolle Geburten: Übergänge zur Moderne in Europa und dem Mittleren Osten." Er war ein Mitglied der Arbeitsgruppe für demokratische Prinzipien, die vom US-Außenministerium einberufen worden war, um die Zukunft der irakischen Regierung zu diskutieren.

URL: http://www.Freace.de/artikel/jul2003/rat280703.html
engl. Original: http://www.guardian.co.uk/Iraq/Story/0,2763,1007288,00.html