13. Kriegsjahr

Schon lange vor Kriegsbeginn war der Irak nicht mehr souverän

Joachim Guilliard, junge Welt vom 12.04.2003
 
Schneller als Militärexperten erwartet hatten, konnten US-geführte Invasionstruppen Bagdad einnehmen. Der Sieg wurde allerdings nicht in vier Wochen erstritten, wie die Aggressoren weismachen wollen, sondern in mehr als zwölf Jahren: »Nachdem man den Irak mit freundlicher Hilfe der UN-Diplomatie (Wirtschaftssanktionen, Waffeninspektionen) in die Knie gezwungen und erreicht hatte, daß die Bevölkerung hungerte, eine halbe Million Kinder starben und die Infrastruktur des Landes erheblich zerstört war«, faßte die indische Schriftstellerin Arundhati Roy vor kurzem in der FAZ zusammen: »... und nachdem man – in einem Akt historisch beispielloser Feigheit – dafür gesorgt hatte, daß die meisten Waffen zerstört waren, schickten die ›Alliierten‹ eine Invasionsarmee ins Land.« Mit der ersten auf Bagdad abgefeuerten Rakete hatte der Irak, Gründungsmitglied der Vereinten Nationen, seinen Status als souveräner Mitgliedsstaat offenbar schon verloren.

Keine förmlichen Verurteilungen aus den Hauptstädten Europas, keine entsprechenden Resolutiosentwürfe im Sicherheitsrat, die ein sofortiges Ende der Aggression und Rückzug der Invasoren gefordert hätten. Auch gegen den Einsatz geächteter Waffen, die Bombardierung ziviler Infrastruktur, Wohngebiete und Medien oder Militarisierung der humanitären Nothilfe gab es weder in Deutschland noch Frankreich förmliche Proteste. Alle Bemühungen, eine Sondersitzung der UN-Vollversammlung einzuberufen, wurden auch von diesen beiden Staaten hintertrieben. Statt dessen konzentrierten sich viele aus dem Kreis der zuvor »Unwilligen« sofort auf den zukünftigen »Wiederaufbau« des Irak.

Gerade weil ein Erfolg der militärisch haushoch überlegenen Angreifer von Beginn an wahrscheinlich war, wäre es wichtig gewesen, die Souveränität der Angegriffenen zu verteidigen. Statt dessen wurde beispielsweise das »Öl für Nahrung«-Programm auf Anordnung des Generalsekretärs mit Kriegsbeginn einfach gestoppt, wodurch der Irak sofort wieder unter Totalembargo stand. Die ihm vorenthaltenen Mittel aus diesem Programm wurden für die humanitäre Hilfe umgewidmet – über den Kopf der irakischen Regierung hinweg, dafür in Abstimmung mit den angreifenden Mächten.

Im Lager der blockfreien Staaten und der arabischen Liga regte sich dagegen Widerstand. Es gab heftige Kritik an Kofi Annan und starke Bestrebungen, eine Notstandssondersitzung der UN-Generalversammlung gemäß der »Uniting for Peace«-Resolution 377 einzuberufen, die Aggression klar zu verurteilen und die Angreifer zum Rückzug aufzufordern. Die USA reagierten mit Drohbriefen, in denen sie betonen, daß sie eine Unterstützung eines solchen Vorgehens als »unfreundlichen Akt« ansehen würden. Deutschland und Frankreich zeigten kein Interesse an einer von einer Staatenmehrheit getragenen Antikriegsresolution. Sie wäre sehr störend beim Versuch, die kriegführenden Staaten dazu zu bewegen, eine Teilhaberschaft im Nachkrieg-Irak zuzulassen. Zudem hatten Bundeskanzler und Außenminister stets betont, daß sie den Krieg zwar bedauern, die US-amerikanischen Kriegsziele aber unterstützen und einen baldigen Zusammenbruch des Irak wünschen.

Die USA wollen die Zukunft des Iraks allein bestimmen. Wichtige Weichen wurden mit der Berufung des Exgenerals Jay Garner zum Leiter einer Militärverwaltung gestellt. Garner war bisher Manager eines US-amerikanischen Rüstungskonzerns und ist vehementer Befürworter eines harten militärischen Vorgehens der israelischen Regierung gegen die Palästinenser. An seiner Seite soll der ehemalige Manager des Öl-Multis Royal Dutch/Shell Philip Carroll sich um den Wiederaufbau der Ölindustrie kümmern.

Die Vereinten Nationen wären natürlich äußerst willkommen, den Besatzern eine gewisse Legitimation zu verschaffen, müßten aber ihren aktiven Part auf den humanitären Sektor beschränken. Unter diesen Umständen laufen sie Gefahr, den Rest an Glaubwürdigkeit zu verlieren und ganz auf die Rolle einer supranationalen Hilfsorganisation reduziert zu werden. Von der UNO müßte ein klares Signal ausgehen, daß kein von den Aggressoren mit Waffengewalt aufoktroyiertes Regime internationale Anerkennung finden wird und sie erst dann organisatorische Aufgaben im Irak übernehmen werden, wenn die britisch-amerikanischen Streitkräfte ihre Besatzung beenden.

 
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