Vermittlung abgelehnt

Vorschläge des politischen Widerstands im Irak zur Beendigung der Offensive gegen Falludscha und andere Städte werden von den USA ignoriert.

Joachim Guilliard,
(erschien gekürzt in der jungen Welt vom 10.11.2004)

Die Eroberung Falludschas und weiterer irakischer Städte wird von den USA als notwendiger Schritt zur Durchführung der für Januar angekündigten Wahlen verkauft, ja als notwendige Voraussetzung zur Einführung der Demokratie im Zweistromland. Wie wenig glaubhaft diese auch von deutschen Medien bereitwillig akzeptierte Begründung für ein erneutes Massaker ist, zeigt nicht zuletzt der Umgang der Aggressoren mit ernsthaften Vermittlungsvorschläge von irakischer Seite, die auf eine Verhinderung der Gewalteskalation und wirkliche Demokratisierung abzielen. Der politisch wohl interessanteste Vorstoß kam vor ein paar Tagen vom irakischen nationalen Gründungskongress (Iraqi National Foundation Congress – INFC), einem breiten Bündnis verschiedener politischer Gruppierungen und Persönlichkeiten.

Dachorganisation etabliert

Wamidh Nadhmi, angesehener Professor der Universität von Bagdad und Sprecher des INFC, stellte, wie die Washington Post am Wochenende berichtete, eine Reduzierung von Widerstandsaktionen und eine Beteiligung der im Kongress vertretenen politischen Kräfte an den Wahlen in Aussicht, wenn die Angriffe derUS- Truppen auf irakische Städte eingestellt und einige Änderungen im Wahlprozess vorgenommen werden. [1]

Der Vorschlag hat politisch durchaus großes Gewicht, da der INFC sich in dem halben Jahr seit seiner offiziellen Gründung als eine Dachorganisation für den politischen Widerstand gegen die Besatzung etabliert hat, der von den meisten wichtigen politischen Organisationen und Persönlichkeiten des Landes unterstützt wird – mit Ausnahme natürlich derer, die, wie die Irakische Kommunistische Partei, lieber den von den Besatzungsmächten konzipierten „Übergangsprozess“ mittragen.

Im INFC sind religiöse Organisationen aller Konfessionen vertreten ebenso wie säkulare, nationale und linke Gruppierungen, Kurden ebenso wie Turkmenen und andere nationale Minderheiten. Es engagieren sich hier Gewerkschafter, Menschenrechtsaktivisten und Universitätsprofessoren, führende Persönlichkeiten aus den verschiedenen Städten des Landes, insbesondere auch aus Falludscha und den anderen vom Widerstand kontrollierten Städten, sowie auch Personen, die dem einflussreichen Großajatollah Al Sistani und dem geistlichen Besatzungsgegner Muqtada Al Sadr nahe stehen. [2]

In Gründungsdokument des INFC sprechen sie sich strikt gegen jegliche Unterstützung von Institutionen aus, die von der Besatzungsmacht geschaffenen wurden. Stattdessen sollen eigene politische Strukturen aufgebaut werden, um den Irak zu befreien – mit allen legitimen Mitteln. Zur Mitarbeit eingeladen sind alle, die gegen Besatzung sind und die weder in irgendeiner Form mit der Besatzungsmacht zusammenarbeiten, noch in Verbrechen des vorigen Regimes verwickelt waren.

Der Kongreß stellt sich nicht gegen den bewaffneten Widerstand, da er seiner Ansicht nach das natürliche Recht eines jeden Volkes ist, bevorzugt aber zivile Mittel für die Auseinandersetzung. Da die führenden Mitglieder des INFC ein hohes Ansehen im Lande genießen und dadurch auch politischen Einfluss auf bewaffnet kämpfende Organisationen haben, kommt dem Kongress eine vermittelnde Rolle zwischen bewaffnetem Widerstand und zivilen Bewegungen zu.

Die Arbeit des Kongress wird von den Medien ignoriert. Auch im Internet gibt es nur wenige Informationen. Das liegt zum Teil auch am Überdruss vieler Iraker gegenüber der Flut von dubiosen Webseiten und gefälschten Statements, die über das Internet verbreitet wurden. Sie vertrauen lieber auf Botschaften die handverteilt oder über die Lautsprecher der Moscheen verbreitet werden. Die oben erwähnte Erklärung z.B. wurde als zweiseitiges Flugblatt in Bagdad und anderen Städten verteilt.

Vorschläge für wirklich freie und faire Wahlen

In einer am 3. November in Bagdad verbreiteten Erklärung stellte der INFC fest, dass seine Mitglieder schon immer – wie auch „viele andere patriotische Kräfte und religiöse Autoritäten“ – „freie und faire Wahlen unter unabhängiger internationaler Aufsicht gefordert haben“. Damit die nun aktuell von der Besatzungsmacht vorbereiteten Wahlen frei und fair sein können, müsste aber zuerst eine ganze Reihe von Maßnahmen getroffen werden:

So sollten die Wahlen in allen Phasen von einer Kommission überwacht werden, die aus Persönlichkeiten zusammengesetzt ist, deren Integrität und Unabhängigkeit international anerkannt ist. [3]

Die vom ehemaligen US-Statthalter Paul Bremer eingerichtete Wahlkommission müsste grundlegend umgestaltet werden. Zumindest müsste jede Wahlliste einen Vertreter in die Kommission entsenden können und eine gewisse Anzahl von für ihre Integrität bekannten Richtern aufgenommen werden.

Zudem müsste der Kommission das Recht genommen werden, Kandidaten auszuschließen, es sei denn durch ein strafrechtliches Verfahren.

Um sichere und faire Wahlen in allen Städten und Ortschaften durchführen zu können, müssten die militärischen Angriffe sofort eingestellt werden. Die Besatzungstruppen müssten mindestens einen Monat vor den Wahlen komplett aus allen Städten zurückgezogen und alle politischen Gefangenen – ungeachtet ihrer politischen Zugehörigkeit – freigelassen werden.

 Besatzungsmacht schweigt

Nur bei Erfüllung dieser Forderungen, könnte das Ergebnis der Wahl als eine legitime verfassungsgebende Versammlung angesehen werden. Nur eine solche könne eine permanente Verfassung verabschieden, mit einer gerechte Lösung des Kurdenproblems, die die Kurden als gleichberechtigte Partner in einem vereinten Irak anerkennt, wie auch die Angehörigen anderer religiösen und ethnischer Minderheiten. Eine solche Versammlung würde schließlich den Weg frei machen, für einen raschen Abzug der Besatzungstruppen als wichtigste Vorbedingung zur Wiedererlangung wirklicher Souveränität.

Eine Ablehnung dieser, für eine faire Wahl notwendigen Forderungen, würde zeigen, dass es den USA nicht um Herstellung einer rechtmäßigen Ordnung geht, sondern nur darum, die Herrschaft willfähriger Gruppen, die den Willen der Besatzer umsetzen, zu legitimieren. „Die Verantwortung für die Konsequenzen eines solchen Kurses, liegt dann vollständig bei den Besatzungsmächten.“

Von der US-Botschaft, die die tatsächliche Herrschaft im Irak ausübt, gab es auf diese Vorschläge keine Antwort. Dass ihnen durchaus Gewicht beigemessen wird, zeigt die Reaktion ehemaliger Mitarbeiter der Besatzungsbehörde, die der Washington Post gegenüber von einem möglichen Durchbruch, sprachen, der nicht nur den Angriff auf Falluja überflüssig machen würde, sondern vor allem auch die zu erwartenden Gewalt des Widerstands als Antwort danach vermeiden könnte. Diese US-Beamten, die sich während ihrer Arbeit in der Besatzungsbehörde ein Bild von den Realitäten im Lande machen konnten, befürchten, dass die US-amerikanischen Streitkräfte zwar einmal mehr eine Schlacht gewinnen können, den Widerstand dabei aber nur weiter anfachen und auf längere Sicht den Krieg verlieren.


[1]
Battle Near, Iraqi Sunnis Make Offer - Major Shift Includes New Interest in Vote“, Washington Post, 6.11.2004
[2]
siehe J. Guilliard, Im Treibsand Iraks - Von „Auftrag erfüllt” zur unerfüllbaren Mission?, IMI-Studie 2004/03
[3]
Iraqi National Foundation Congress statement on elections, Dead Men Left, 5.11.04

Nachtrag: