junge Welt vom 17.01.2002
 
Militärischer Sanierungskurs
Türkischer Premier zu Gesprächen in Washington. Wirtschaftskrise und Krieg gegen Irak auf Agenda
Karin Leukefeld
 
Die Erwartungen der türkischen Delegation, die Ministerpräsident Bülent Ecevit bei seinem Besuch in Washington begleitet, sind hoch. Ecevit erklärte während des Fluges, er suche mit den USA eine »Zusammenarbeit, die über eine Partnerschaft hinausgeht«. Topthemen des türkisch-amerikanischen Gipfeltreffens, das derzeit in Washington stattfindet, sind neben den geplanten Europäischen Streitkräften (ESDP) und der Zypern-Frage ein möglicher US-Militärschlag gegen den Irak sowie die Wirtschaftskrise in der Türkei. Vieles deutet darauf hin, daß Ecevit die Finanzprobleme seines Landes lösen will, indem er, elf Jahre nach Beginn des zweiten Golfkrieges, seine Zustimmung zu einem Angriff auf den Irak für bare Münze verkauft.

Zu Wochenbeginn forderte die irakische Tageszeitung Babel die türkische Regierung auf, »keine gemeinsame Sache« mit den USA zu machen. Mögliche Finanzzusagen aus den USA würden »die Probleme der Türkei nicht lösen«, so die Zeitung im Editorial auf der ersten Seite. Die Türkei dürfe keinen Ausverkauf »auf Kosten einer Nation, die gegenüber der Türkei sehr großzügig gewesen sei«, akzeptieren.

Die finanziellen Verluste des elfjährigen UN-Embargos gegen den Irak werden von Ankara mit 40 Milliarden Dollar beziffert. Die in der türkischen Presse tonangebenden Kommentatoren hatten schon Ende September die Regierung in Ankara aufgefordert, bei einem neuen Krieg gegen Bagdad ihre Unterstützung nicht wieder unter Preis zu verkaufen.

Außerdem wird es in Washington um Exporterleichterungen für türkische Produkte gehen. Ankara wünscht sich ein bilaterales Wirtschaftsabkommen mit den USA, das dem Land – wie Israel und Jordanien – Sonderkonditionen zugesteht. Die Sicherheitsberaterin von US-Präsident George Bush, Condoleezza Rice, äußerte sich zu Beginn des Ecevit-Besuchs optimistisch. Solange die Reformen in der Türkei anhielten, sei die finanzielle Unterstützung gewährleistet.

Auf dem Programm stehen für Ecevit auch Gespräche mit IWF-Direktor Horst Köhler und dem Vorsitzenden der Weltbank, James Wolfensohn. Vom IWF, der im vergangenen Jahr die Türkei bereits mit 19 Milliarden Dollar unterstützte, erwartet Wirtschaftsminister Kemal Dervis eine Zusage über einen weiteren Kredit in Höhe von zehn Milliarden Dollar.

Die US-Administration macht kein Hehl aus ihrem Interesse an einer engen Zusammenarbeit mit Ankara. Rice hob die beispielhafte Rolle der Türkei als einzigem moslemischen Land in der NATO hervor. Wie das Land mit dem Islam umgehe, stelle in der Region eine fortschrittliche Alternative gegenüber radikalislamischen Staaten dar. Die Türkei könne eine Brückenfunktion zwischen dem christlichen Westen und dem moslemischen Osten einnehmen, so Rice.

Auch in Zentralasien ist die Türkei für Washington ein wichtiger Partner. Die USA haben bereits zugesagt, ein mögliches türkisches Kommando der UN-Truppe in Afghanistan mit 20 Millionen Dollar zu unterstützen. Ankara reicht das allerdings nicht aus und fordert bereits einen Nachschlag, noch bevor überhaupt eine Entscheidung getroffen wurde.

 
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