Make law, not war!

Rede Prof. Ulrich Duchrows bei der Auftaktkundgebung zur Demonsration "Querstehen" in Heidelberg am 18.1.2003.

Liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Demonstration,

Wir sind nicht hier, um Bekanntes zu wiederholen. Deshalb vorweg nur folgende Erinnerung:

Wir wissen: Saddam Hussein ist ein Diktator.

Wir wissen aber auch: Er wurde großgemacht durch die USA. Damals sollte er einen Stellvertreterkrieg für die USA gegen den Iran führen. Dieser 1. Golfkrieg kostete 1 Mill. Menschenleben.

Wir wissen auch, daß die USA allein oder mit Hilfe anderer Westmächte seit einem halben Jahrhundert Diktatoren eingesetzt haben: Den Schah von Persien, Marcos in den Philippinen, Suharto in Indonesien, Mobutu im Kongo, die Diktatoren in Lateinamerika von Brasilien bis Chile. Damals ließen die USA z.B. den demokratischen Präsidenten Allende ermorden und Pinochet einsetzen. Nicht Recht und Menschenrechte leiteten die US-Politik, sondern Interessen.

Wir wissen auch, daß Saddam Hussein wieder gerne Massenvernichtungsmittel hätte. Bis 1998 wurden sie ihm durch die Waffeninspektoren zerstört. Aber warum geben die USA den Waffeninspekteuren heute keine Zeit? Und wer bricht den Nichtverbreitungsvertrag für Kernwaffen? Die USA. Zwischen 1994 und 2001 handelten 54 Nationen einen Vertrag zur Verifizierung des Verbots biologischer Waffen aus. Wer hat diesen Vertrag zum Scheitern gebracht? Die Bush-Regierung. Wer wehrt sich gegen das generelle Verbot chemischer Waffen? Die USA. Nicht Friede durch Recht leitet die US-Politik, sondern Interessen.

Es wäre aber zu kurz gegriffen, nur die jeweiligen Einzelinteressen in den Blick zu nehmen. Natürlich streben die Ölmanager der Bush-Regierung die Kontrolle über das irakische Öl an. Aber was sie wollen, ist mehr. Sie wollen alles. Sie wollen die Weltherrschaft. Wenn sie die Weltherrschaft haben, können sie auch alle Einzelinteressen befriedigen. Das ist sogar mehr als der klassische Imperialismus und Kolonialismus der europäischen Mächte im 19. Jh. Erstens gab es damals konkurrierende Mächte, England, Frankreich, Deutschland, die sich gegenseitig behinderten. Heute sind die USA die einzige Supermacht, der militärisch kein Land dieser Erde mehr entgegentreten kann. Zweitens galt jedenfalls prinzipiell das damals geltende, wenn auch nicht gerechte Völkerrecht.

Das entscheidend Neue heute ist dies: Mit ihrer neuen Doktrin der Präventivkriege im eigenen Interesse haben die USA das geltende Völkerrecht prinzipiell ausgehebelt. Dazu paßt, daß sie den Internationalen Strafgerichtshof ablehnen. Und ob sie nun die UNO für ihren Angriffskrieg gegen den Irak manipulieren können oder nicht, sie haben angekündigt, daß sie ihn in jedem Fall führen wollen. Ein solcher Krieg hat immens symbolische Bedeutung. Er soll allen Ländern signalisieren: wir können jederzeit eingreifen, wo wir unsere Interessen durchsetzen wollen. Unterwerft euch!

Darum ist die zentrale Frage, der wir uns konkret stellen müssen: Welche Mitverantwortung haben Deutschland und Europa? Wie können wir als soziale Bewegungen unsere Regierungen beeinflussen, die Kooperation mit der US-Regierung zu beenden, solange sie Krieg, Unrecht und Tod über Millionen von Menschen bringt? Welches sind die Alternativen?

Es ist erfreulich und zu begrüßen, daß die rot-grüne Bundesregierung im konkreten Fall eines Krieges gegen den Irak trotz einigen Schlingerns Nein sagt. Dabei sollten wir sie in jeder Hinsicht behaften. Welches sind die grundlegenden und konkreten Punkte, an denen wir dies tun müssen?

  1. Hat sich Deutschland nicht seit 1992 bereits auf die schiefe Ebene begeben, als die Bundeswehr offiziell den Aufbau von Eingreiftruppen ankündigte mit der Begründung, sie sollten auch Wirtschaftsinteressen schützen? Damit hat sich Deutschland bereits an die Seite der USA gestellt, die seit langem mit imperialen Mitteln den totalen Markt in aller Welt durchsetzt. Damit hat Deutschland auch sein eigenes Grundgesetz gebrochen, das militärische Mittel nur im Fall der Selbstverteidigung zuläßt. Die erste grundsätzliche Forderung muß also heißen: Die Bundeswehr darf nur grundgesetzmäßig zur Landesverteidigung eingesetzt werden.
  2. Auch die NATO hat eine neue Strategie beschlossen, nach der sie sich selbst das Mandat zu militärischen Einsätzen geben kann – ohne UNO Mandat und nicht nur im Fall der Selbstverteidigung. Auch hier ist Deutschland dabei, das geltende Völkerrecht und das Grundgesetz auszuhebeln. Die zweite grundsätzliche Forderung heißt also: Kampf gegen die völkerrechts- und grundgesetzwidrige Selbstmandatierung der NATO zu Auslandseinsätzen, die nicht der Selbstverteidigung dienen. Schon der Kosovokrieg war eine Grenzüberschreitung.
  3. Konkret im Fall des geplanten Irak-Krieges hat die Bundesrepublik den USA bereits Nutzung des deutschen Luftraums zugesagt. Auch dies ist völkerrechts- und grundgesetzwidrig. Die UN-Charta Art. 2,4 verbietet in internationalen Beziehungen die "Androhung oder Anwendung von Gewalt". Und nichts anderes tun die USA und Großbritannien mit ihrem massiven Truppenaufmarsch ohne UNO-Mandat. Unser Grundgesetz verbietet außerdem, Angriffskriege von deutschem Boden aus vorzubereiten und durchzuführen. Darum die konkrete Forderung an die Bundesregierung: Nehmt sofort die Genehmigung der Überflugrechte des US-Militärs zurück! Im Fall, daß die USA ohne UNO-Mandat angreifen, müssen nicht nur die PDS, sondern wir alle als Bürgerinnen und Bürger, besonders aber als Gewerkschaften, Kirchen und soziale Bewegungen, vor dem Verfassungsgericht gegen diesen Bruch des Grundgesetzes klagen und eine einstweilige Verfügung gegen die Gewährung der Überflugrechte erwirken.
  4. Die Waffeninspekteure fordern ausreichend Zeit für ihre Inspektionen im Irak und die Vernichtung möglicherweise vorhandener Massenvernichtungsmittel. Deutschland hat seit 1. Januar den Vorsitz im UNO Sicherheitsrat. Damit hat unsere Regierung eine Schlüsselfunktion zur Beeinflussung der Tagesordnung und dieser Forderung. Auch bei einer mehrmonatigen Inspektion würden sich die Kosten nur auf 80 Mill. Dollar belaufen. Ein Krieg würde 80-200 Mrd. kosten, ganz zu schweigen von den Hunderttausenden ziviler Opfer. Unsere Regierung darf sich nicht dem Druck der USA beugen, den Inspektoren ein Limit zu setzen.

Zusammengefaßt lautet die Forderung an die Adresse unserer Regierung: Rückkehr zum Völkerrecht und zum Grundgesetz. Make Law not War. Wer den USA den kleinen Finger gibt wie unsere Regierungen seit 1990, muß sich nicht wundern, wenn diese die ganze Hand nehmen. Die USA hören z.Zt. immer mehr auf, ein Rechtsstaat zu sein. Sie sind in Verschränkung mit dem globalen Markt das erste wirklich universale Imperium der Weltgeschichte.

Was können wir als Bürgerinnen und Bürger, als soziale Bewegungen selbst tun, ob unsere Regierung folgt oder nicht? Ich will neben Demos, Mahnwachen und Briefaktionen zwei Punkte herausgreifen:

1. Wir können wachsam sein, wenn die USA die Medien und die öffentliche Meinung manipulieren. Die "Ärzte gegen den Atomkrieg" (IPPNW) machen auf folgende Gefahr aufmerksam und fordern uns auf, darüber eine öffentliche Diskussion zu führen. Sie erinnern uns daran, daß Regierungen, die Krieg führen wollen, heimlich Ereignisse herbeiführen, um die Bevölkerungen propagandistisch hinter sich zu bringen.

Der STERN brachte am 23.12. 2002 eine falsche Terrorwarnung unter dem Titel "Bombenalarm zum Weihnachtsfest". Alles deutet darauf hin, daß dies eine Aktion amerikanischer Geheimdienste war. Die Ärzte fordern eine öffentliche Diskussion über mögliche Scenarios für den Kriegsanfang. Kann es nicht sein, daß die US-Geheimdienste in Europa oder Israel einen großen Terroranschlag organisieren, um die Bevölkerungen für einen Krieg hinter sich zu bringen? Solche Überlegungen haben nichts mit Verschwörungstheorien zu tun. Sie sind eine nüchterne Vorbereitung auf mögliche schlimme Ereignisse, die nach allen historischen Erfahrungen wahrscheinlich sind. Wenn wir darüber öffentlich diskutieren, ist die Bevölkerung gewarnt und wird nicht naiv reagieren.

2. Wir können US-Produkte boykottierren. Der Friedensforscher Johann Galtung u.a. haben dazu aufgerufen. Die USA in ihrer jetzigen Verfassung verstehen nur die Sprache der Waffen und des Geldes. Waffen können und wollen wir ihnen nicht entgegensetzen, aber wir haben VerbraucherInnenmacht, die wir einsetzen können. Im Kampf gegen die Apartheid in Südafrika hat Der Früchte- und Bankenboykott eine wichtige und erfolgreiche Rolle gespielt.

Nun gibt es natürlich Gegenargumente, die ich in den letzten Wochen durch Korrespondenz und Diskussion mit amerikanischen und europäischen Freunden überprüft habe.

# Als erste bietet sich EXXON-MOBIL an. Gegen diesen Öl-Multi läuft bereits eine Boykottaktion in den USA selbst und weltweit wegen seiner Mißachtung notwendiger Maßnahmen gegen den Klimawandel. Und Öl ist neben dem Weltherrschaftsanspruch das zentrale Einzelmotiv für den Irakkrieg.

# McDonalds wäre ein weiterer Kandidat, vor allem aber

# Coca-Cola. Dies würde ja selbst für Friedens- und andere Aktivisten noch einen wirklichen Verzicht bedeuten....

Ich will deshalb schließen mit einem Brief des Vorsitzenden der Arbeitsgruppe der United Church of Christ in den USA und der Kirche der Union (EKU) in Deutschland, Frederik Trost. Präses Kock hat ihn vor der Rheinischen Synode am 6. Januar zitiert. Frederik Trost aus den USA schreibt:

"Das Wichtigste, was unsere Freunde in der EKU (in Deutschland) und anderswo tun können, ist, fortgesetzten Druck auf die Vereinigten Staaten auszuüben. Habt keine Angst, unsere Gefühle zu verletzen. Sagt uns die Wahrheit in Liebe, aber sagt uns die Wahrheit! Sagt sie wieder und wieder! Demonstriert, und demonstriert weiter! Protestiert mehr und mehr! Betet, und hört nicht auf zu beten! Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind die Vereinigten Staaten die grösste Bedrohung des Friedens und der Gerechtigkeit in unserer Welt. Unsere Regierung ist darauf eingestellt, alles in Kauf zu nehmen, auch den Tod von Abertausenden unschuldiger Menschen, um ihre Interessen durchzusetzen. Die, die dagegen sind? Sie werden wie Käfer zerquetscht."

Wehren wir uns, ehe Hunderttausende im Irak und schließlich auch wir wie Käfer zerquetscht werden.