Plündern nach Plan

Augenzeuge aus Schweden: Bewohner von US-Armee zu Zerstörungen angestiftet

Rüdiger Göbel, junge Welt vom 17.04.2003
 
Eine Woche nach dem Einmarsch der Invasionstruppen in die irakische Hauptstadt Bagdad dauern dort Plünderungen und Brandstiftung an. Weltweite Empörung hat vor allem der Sturm auf Krankenhäuser und die systematische Brandschatzung des archäologischen Museums am vergangenen Samstag hervorgerufen. Nur noch drei von 32 Kliniken in Bagdad waren nach den Plünderungen arbeitsfähig. Für Sicherheit und Ordnung in der besetzten Stadt wären eigentlich die US-Truppen verantwortlich. Mittlerweile sind auch die Nationalbibliothek und das Staatsarchiv zerstört worden. »Bücher, Briefe und unbezahlbare Dokumente gingen in diesem Schlußkapitel der Plünderung von Bagdad in Flammen auf«, schrieb der bekannte britische Journalist Robert Fisk im Guardian am Dienstag. »Ich sah die Plünderer, und die Amerikaner taten nichts«, empörte sich Fisk. Ein Dozent von der Universität im schwedischen Lund erhob am Donnerstag gegenüber junge Welt noch schwerere Vorwürfe. Die US-Truppen haben demnach beim Einmarsch die Bewohner Bagdads sogar zu den Zerstörungen angestiftet.

»Die Plünderungen begannen erst, als US-Truppen die Bevölkerung dazu aufgefordert hatten«, schilderte Khaled Bayomi seine Erlebnisse in Bagdad. Der gebürtige Ägypter lehrt und forscht an der Universität in Lund über die Konflikte im Nahen Osten. Bei Kriegsbeginn war der 40jährige als »menschliches Schutzschild« in die irakische Hauptstadt gefahren. Am 8.April, dem Vorabend der endgültigen Eroberung Bagdads, hatte Khaled Bayomi nach eigenen Angaben in einem Armenviertel hinter der Haifa-Straße auf der Westseite des Tigris Freunde besucht. Aufgrund heftiger Kämpfe sei es unmöglich gewesen, auf die andere Seite des Flusses zu gelangen. »Als es am Nachmittag ruhiger wurde, positionierten sich vier amerikanische Panzer am Rande des Slumviertels.« Über Lautsprecher sei die Bevölkerung auf Arabisch aufgefordert worden, näher zu kommen. »Am Morgen war noch auf jeden geschossen worden, der auch nur versucht hatte, die Straße zu überqueren«, so Khaled Bayomi.

Aufgrund der relativen Ruhe hätten die Menschen langsam Mut gefaßt. Nach einer Dreiviertelstunde seien die ersten auf die Straße gekommen. Plötzlich hätten die US-Soldaten zwei Sudanesen, die vor einem Verwaltungsgebäude in der Haifa-Straße standen, erschossen. »Ich war nur 300 Meter entfernt, als die Männer ermordet wurden«, berichtet Khaled Bayomi weiter. Am Tag davor habe er mit den beiden Arbeitern noch gesprochen. Danach hätten US-Truppen die Eingangstür aufgeschossen. »Der arabische Übersetzer im Panzer hat die Menschen aufgefordert, in das Gebäude zu gehen und es auszuräumen.« Das Gerücht habe sich rasch verbreitet, und das Gebäude sei geplündert worden. »Kurz darauf haben Panzer die Türen des benachbarten Justizministeriums aufgebrochen, und die Plünderung wurde dort fortgesetzt«, beschreibt Khaled Bayomi die Initialzündung zum Brandschatzen in Bagdad. Schließlich habe die US-Armee die erhofften Bilder von Irakern gehabt, die ihr Mißfallen mit dem Regime Saddam Husseins bekundet hätten.

Er selbst habe dies alles zusammen mit einer größeren Gruppe von Einwohnern Bagdads beobachtet. Sie hätten sich an der Plünderung nicht beteiligt, aber auch Angst gehabt, dagegen einzuschreiten. »Vielen standen Tränen in den Augen, aus Schande«, so Khaled Bayomi gegenüber junge Welt. Am Morgen des 9. April sei die von US-Truppen iniitiierte Plünderung auf das Museum für moderne Kunst ausgeweitet worden.

Ab einem bestimmten Zeitpunkt schließlich haben sich die Plünderungen verselbständigt. Vier Wochen nach Beginn des illegalen US-Krieges ist die kulturelle Identität des Irak weitgehend zerstört. In der Geschichte des Zweistromlandes wird 2003 zum Jahr Null.

Die Plünderungen und Zerstörungen im Irakischen Nationalmuseum kommen nach Ansicht des Deutschen Museumsbundes einem »kulturellen Supergau« gleich. In einem von so langer Hand geplanten Krieg hätten die alliierten Truppen eine Plünderung verhindern können und diese Kulturinstitution schützen müssen, erklärte der Präsident des Museumsbundes, Martin Roth. »Dieser Krieg hat zwar die Sicherung der Ölvorräte berücksichtigt, aber die kulturelle Wiege der Menschheit nicht einbezogen.« Am heutigen Donnerstag will die UNESCO in Paris mit internationalen Experten über den Schutz der irakischen Kulturgüter beraten.

Das US-Zentralkommando in Katar hatte nach den ersten Plünderungen erklärt, nicht genügend Truppen im Irak zu haben, um dem Rechtsbruch Herr zu werden. Außerdem könnten die Soldaten keine Polizeiaufgaben wahrnehmen. Und US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld erklärte, die Iraker seien nach dem Sturz Saddam Husseins eben freie Menschen. Und freie Menschen seien auch frei, Fehler zu machen.

Daß die US-Invasionstruppen sehr wohl dazu in der Lage sind, Gebäude vor Plünderung und Zerstörung zu schützen, stellen sie in Bagdad unter Beweis. Während Präsidentenpaläste, Krankenhäuser und Museen tagelang geplündert und in Brand gesteckt wurden, waren US-Truppen vor dem Ölministerium postiert. Das Gebäude wird rund um die Uhr von 50 US-Panzern bewacht.

 
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