[Home] [Irak]

Startseite junge Welt Ausland

09.06.2001

Viel Aufregung um den Flug TU 154M
Verstoß gegen das Irak-Embargo: Mit einer Chartermaschine von Frankfurt am Main nach Bagdad. Von Peter Nowak

Menschengruppen stehen um gestapelte Koffer und Kartons. Letzte Meldungen werden über Handys verbreitet und die Fotoapparate schon mal ausprobiert. Eine alltägliche Flughafenszene, die sich am Vormittag des 1. Juni am Frankfurter Airport abspielte. Doch der Flug TU 154M war nicht alltäglich. Schließlich verstieß der erste Direktflug von Frankfurt am Main nach Bagdad seit Verhängung der Irak- Sanktionen gegen die Embargobestimmungen der Vereinten Nationen. Die Veranstalter mußten lange nach einer Fluglinie suchen, die zum Embargobruch bereit war. Doch auch nachdem man schließlich die Bulgarian-Air gefunden hatte, waren die Hindernisse noch nicht behoben. Verschiedene sogenannte Nichtregierungsorganisationen (NGOs) kündigten Proteste gegen den Flug an. In Zeitungsanzeigen mobilisierten sie »gegen das Bündnis von Rechten, Baathisten und deutscher Wirtschaft«. Zuvor hatten irakische Oppositionelle kurzzeitig das Berliner Büro der Deutsch-Arabischen Gesellschaft (DAG) besetzt, um gegen den »Solidaritätsflug Irak-Regimefreundlicher Organisationen« zu protestieren.

Der Hintergrund dieser hektischen Aktivitäten: Nach mehr als zehn Jahren zeichnet sich eine schleichende Unterhöhlung des Irak-Embargos ab. Den auch von staatlichen Zuwendungen lebenden NGOs drohen die Felle davonzuschwimmen. Ähnlich wie in Libyen wittern Teile der deutschen Wirtschaft auch in dem Land an Euphrat und Tigris lukrative Märkte. So waren denn auch unter den etwa 150 Teilnehmern des Direktflugs Vertreter von kleinen und mittleren Unternehmen sowie NGOs und Stiftungen zahlreich vertreten. Auch Mitglieder aller im Bundestag vertretenen Parteien sondierten - offiziell als Einzelpersonen - die Lage vor Ort.

Die Mehrheit der Solidaritätsreisenden bestand allerdings aus jahrelang in Deutschland lebenden Irakern, die endlich einmal wieder ihre Verwandten besuchen wollten, ohne den beschwerlichen Weg durch die jordanische Wüste auf sich nehmen zu müssen. Die Aktivisten der Deutsch-Irakischen Gesellschaft (DIR) indes waren um die Förderung der Freundschaft beider Staaten bemüht.

Zum offiziellen Programm gehörte der Besuch in Iraks größter Kinderklinik. Die kleinen Patienten aus allen Teilen des Landes leiden teilweise als Spätfolge der Bombardements an schweren Krankheiten, die durch den embargobedingten Medikamentenmangel häufig nicht behandelt werden können. Auch der Amyrriyah-Bunker wurde besucht. Am 14. Februar 1991 starben in dem Schutzraum mehr als 500 Iraker. US- Kampfflugzeuge hatten ihn ins Visier genommen und zweimal bombardiert. Seit einem Jahrzehnt wurde im Keller nichts verändert. Der Bunker soll als Symbol der »Unmenschlichkeit der Invasoren« die Erinnerung an den sogenannten zweiten Golfkrieg wachhalten. In dieser Frage zumindest sind sich Regierung und große Teile der Bevölkerung einig.

Beim Bummeln durch den Basar und die engen Straßen von Bagdad kamen wir schnell mit englischsprachigen Irakern ins Gespräch. Kontakte zur irakischen Bevölkerung waren zwar wegen der kurzen Besuchsdauer nur eingeschränkt möglich. Sie wurden aber von den Organisatoren der Solidaritätsreise ausdrücklich begrüßt. »Wir haben ideale Voraussetzungen für den Tourismus«, erinnerte sich ein Basarhändler an bessere Zeiten. Schließlich gibt es in dem Land zahlreiche historische Stätten wie die Ruinen von Babylon. Zumindest mittelfristig könnten sich dort wieder Urlauber tummeln, hofft man in der irakischen Hauptstadt. In wenigen Monaten soll zweimal wöchentlich ein Flug von Frankfurt am Main via Amman nach Bagdad gehen.

Unübersehbar auch in Bagdad und Hauptthema bei den Gesprächen mit der irakischen Bevölkerung ist die schlechte soziale Lage in dem Zweistromland. Wer es sich leisten kann, verkauft Möbel und Elektrogeräte, um irgendwie über die Runden zu kommen. Mit der Aufhebung des Embargos verbinden viele Iraker die Hoffnung auf wirtschaftliche Erholung und eine Verbesserung ihrer Lebenssituation.

Rafik und Haschin Al-Khanou sind pessimistischer: Die beiden Brüder wollen so schnell wie möglich den Irak verlassen. Als hochqualifizierte Wissenschaftler haben sie im Ausland gute Chancen. Rafik verdient als Physiker in Bagdad neun Dollar im Monat. »Zum Überleben reicht es, zu mehr aber nicht«, seufzt er. Der offiziellen Propaganda kann er nur mit Humor begegnen. »Was sollten wir ohne Saddam machen«, meint er leicht süffisant mit Verweis auf den im Hintergrund laufenden Fernsehapparat. Die alltägliche Saddam-Time hat begonnen. Mehr als eine halbe Stunde wird eine Kabinettssitzung übertragen. Doch während die Minister nur selten zu Wort kommen, schwenkt die Kamera immer wieder zum monologisierenden Staatschef. Im Anschluß sieht man Saddam Hussein gleich beim nächsten Tagesordnungspunkt. Der irakische Staatschef inspiziert Geschenke, die ihm im Laufe der letzten Jahre von der Bevölkerung gemacht wurden. Manchmal streicht seine Hand darüber. Selbstgemalte Bilder sind ebenso darunter wie Basteleien oder Karten mit handschriftlichen Glückwünschen. Die Geschenke sollen versteigert werden und der Erlös einer palästinensischen Stiftung zugute kommen. Wie an jedem Tag endet die Saddam-TV-Show mit dem Absingen einer schmalzigen Lobpreisung des großen Staatschefs, Feldherrn und Mannes Saddam Hussein. Kurz eingeblendet werden jubelnde Soldaten und ein militärisch grüßender Staatschef in Uniform.

Daß die Passagiere des Solidaritätsfluges nicht unbedingt treue Parteigänger von Saddam Hussein waren, zeigte sich beim Abflug. Der verzögerte sich um knapp drei Stunden, weil ein irakischer Teilnehmer an der Paßkontrolle aufgehalten wurde. Eine mehrjährige Gefängnisstrafe in den 80er Jahren war der Grund. »Ich stehe zu meiner Tätigkeit als Oppositioneller und ich bin trotzdem heute hier, um gegen das Embargo zu kämpfen«, erklärte er in einer kurzen Ansprache an die Passagiere und unter lebhafter Zustimmung der irakischen Mitreisenden.

*** Zu den Hintergründen und Folgen des Irak-Embargos siehe: Rüdiger Göbel, Joachim Guilliard, Mick Schiffmann (Hg.): Irak - Ein belagertes Land. PapyRossa-Verlag Köln, Mai 2001. 243 Seiten, DM 28 DM. Auch im jW-Shop erhältlich.

Die kontroverse Debatte um die Aufhebung der Irak- Sanktionen kann im Internet verfolgt werden unter: www.embargos.de

Artikel per Mail versenden

© junge Welt