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Rücktrittsforderung

Offener Brief der Ges. für bedrohte Völker (GfbV) - An den Migrationspolitischen Sprecher von Bündnis 90 / Die Grünen im nordrhein-westfälischen Landtag, Dipl.-Ing. Jamal Karsli, MdL
 
(s.a. die Antworten und Stellungnahmen von »Jamal Karsli und »Joachim Guilliard)

Göttingen, den 9. Juli 2001

Sehr geehrter Herr Karsli,

im Namen der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) fordern wir Sie hiermit dringend auf, Ihr Amt als Mitglied des Petitionsausschusses des nordrhein-westfälischen Landtages niederzulegen. Wir halten es nach der Lektüre Ihres jetzt veröffentlichten Berichts über Ihre "Solidaritätsreise" in den Irak Anfang Juni für unverantwortlich, dass Sie weiterhin über das Schicksal von Angehörigen der kurdischen Volksgruppe, der assyrisch-aramäischen Christen oder anderer Minderheiten aus dem Irak entscheiden können, wenn diese in Nordrhein-Westfalen um Schutz bitten.

Sie müssen von Ihrem Amt zurücktreten, Herr Karsli, weil Sie in Ihrem Bericht offen die Positionen der verbrecherischen Saddam-Hussein-Diktatur verbreiten. Sie dürfen Ihre Position in der grünen Partei nicht benutzen, um für eine extrem chauvinistische arabische Ideologie zu werben!

Schon seit Wochen ist es Konsens in der internationalen Staatengemeinschaft, dass das umfassende Embargo gegen den Irak so nicht weitergeführt werden darf. Denn es hat nicht das Regime, sondern vor allem die Zivilbevölkerung schwer getroffen. Doch Sie, Herr Karsli, fordern undifferenziert das Ende aller Sanktionen. Sie schlagen alle Hinweise in den Wind, dass der Irak weiterhin Massenvernichtungswaffen produzieren kann und auch will. Sie erwähnen nicht, dass die Flugverbotszonen über dem Land aufrechterhalten werden müssen, um die kurdische und assyrisch-aramäische Bevölkerung im Nordirak vor neuen Angriffen zu schützen.
Seit 1963 wurden dort mehr als eine halbe Million Kurden und assyrisch-aramäische Christen ermordet und weit mehr als 4.000 ihrer Dörfer zerstört. Ende der 1980-er Jahre starben im Zuge der "Anfal"-Offensiven im Nordirak mehr als 70.000 kurdische und assyrisch-aramäische Zivilisten – die meisten von ihnen durch Giftgasangriffe der irakischen Luftwaffe. Sie sollten auch nicht vergessen, dass Saddam Hussein den irakisch-iranischen Krieg begann, in dem etwa zwei Millionen junge Männer ums Leben kamen. Auch dort wurde Giftgas eingesetzt. Es konnte hergestellt werden, weil sich deutsche Firmen am Aufbau der irakischen Giftgasindustrie beteiligt hatten. Die Aktivitäten dieser Firmen im Irak hatte die GfbV aufgedeckt, obwohl uns per einstweiliger Verfügung und unter Androhung einer Geldstrafe von bis zu einer Million Mark der Mund verboten worden war. Etwa dieselben Kreise in deutscher Politik und Industrie, die dem Irak seinerzeit den Aufbau seiner Rüstungsindustrie mit ermöglicht haben, sind heute am meisten an der Aufhebung aller Handelshemmnisse interessiert.

Sie zitieren einen regierungsoffiziellen Kurden, nach dessen Aussagen die kurdische Bevölkerung des Irak hinter dem chauvinistischen arabischen Baath-Regime steht. Die GfbV und andere internationale Menschenrechtsorganisationen wissen, dass Saddam Hussein die kurdische Bevölkerung in den Regionen Kirkuk, Scheichan, Schengal und Insale weiterhin vertreiben und durch arabische Siedler ersetzen lässt. Den Feili-Kurden, die teils in der Umgebung von Bagdad siedeln, wird die irakische Staatsbürgerschaft vorenthalten. Bis heute ist der Irak das Land, aus dem die meisten kurdischen Flüchtlinge nach Deutschland und Europa kommen.

 Mit freundlichen Grüßen,
 gez. Tilman Zülch              Dr. Andreas Selmeci
 Generalsekretär                Nahostreferat