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Vorwürfe, dass das irakische Regime medizinische Hilfsgüter, Lebensmittel usw. vorenthalte, sind nicht haltbar
Michael Schiffmann und Joachim Guilliard, Heidelberg
(Antwort an oppositionielle irakische Organisationen)

An
Ahmad Berwari, PUK
Obersten Rat der Islamischen Resistance im Irak
Internat. Menschenrechtsvereinigung Kurdistan e.V. (IMK )
Kurdischer Kulturverein Stuttgart e.V.
Vereinigung Irakischer Studenten in der Bundesrepublik Deutschland e.V.
Irakischer Kulturverein in Bayern e. V.

Sehr geehrte Damen und Herren,

Sie haben sich in verschiedenen Zuschriften kritisch zu unserer Initiative gegen das Irakembargo geäußert.

Entschuldigen Sie zunächst unsere verspätete Antwort auf Ihre Schreiben. Wir haben uns Zeit gelassen, um bei einem so emotionsgeladenen Thema zu vermeiden, durch eine übereilte und impulsive Reaktion unnötig Öl ins Feuer zu gießen.

In nahezu allen ihren Stellungnahmen verurteilen Sie im Prinzip das Embargo und fordern eigentlich seine Aufhebung. Allerdings nur um ein paar Zeilen weiter für eine Aufrechterhaltung zu plädieren. So z.B. Ahmad Berwari von der PUK: "Ich bin ... eindeutig für eine Beendigung des Embargos ..., aber gleichzeitig für die politische Isolation des Regimes von Saddam Hussein. Diese Isolation kann nur durch wirtschaftliche Sanktionen gegen das Regime erreicht werden."

Wie können Sie sich einerseits gegen dieses Embargo, das auch Ihrer Meinung nach der Bevölkerung schadet, aussprechen, um gleich im nächsten Atemzug auf dessen Fortführung zu drängen? Wer das Ausmaß der Folgen des Embargos kennt, und wir gehen davon aus, dass Sie sie sehr gut kennen, dem bleibt doch nur die Forderung nach einem sofortigen, bedingungslosen Ende aller Blockademaßnahmen. Mehr noch: die UN-Sonderorganisationen vor Ort haben festgestellt, daß der Irak aktive Unterstützung zum Aufbau der notwendigen Infrastruktur benötigt.

Verknüpft man aber die Aufhebung des Embargos mit irgendwelchen Forderungen, so macht man –unabhängig davon, wie berechtigt sie sind – weiterhin Politik auf dem Rücken der Bevölkerung, hält sie weiterhin als Geisel, ob man will oder nicht. 10 Jahre Sanktionen haben gezeigt, daß mit dem Embargo keine gesellschaftlichen Reformen – in welche Richtung auch immer – zu erzwingen sind. Sie müssen sich daher fragen lassen, wie lange Sie das Embargo dann noch aufrechterhalten wollen? Wieviel Menschenleben im nichtkurdischen Teil des Iraks sind Sie bereit, dafür zu opfern?

Es liegt uns fern, Ihnen hier Gleichgültigkeit unterstellen zu wollen, aber dies sind unseres Erachtens die Alternativen, die sich stellen. Jeder der weiterhin mit Hilfe der Sanktionen bestimmte Ziele – und seien sie noch so legitim – durchsetzen will, muß sich klar darüber sein, daß er damit pro Monat weitere fünf bis zehntausend Tote in Kauf nimmt (vom übrigen Leiden ganz zu schweigen).

Es ist in diesem Zusammenhang auch nicht ausschlaggebend, in welchem Maße das irakische Regime zur verheerenden Situation im Land beigetragen hat und noch beiträgt. Entscheidend ist hier allein, daß das Embargo ursächlich dafür verantwortlich ist und maßgeblich dazu beiträgt. (vgl.z.B. Marc Bossuyt’s Gutachten für die UN-Menschenrechtskommission vom September 2000).

Die von Ihnen erhobenen Vorwürfe, dass das irakische Regime der Bevölkerung gezielt medizinische Hilfsgüter, Lebensmittel usw. vorenthalte, sind allerdings nach unseren Informationen nicht haltbar. Die zugänglichen UN-Dokumente und die Aussagen von UN-Mitarbeiter die vor Ort arbeiteten, lassen zumindest keine solchen Schlüsse zu. (s. UN-Büro für das "Öl-für-Nahrungsmittel-Programm" (OIP) unter http://www.un.org/Depts/oip/)

Demnach trifft es nicht zu, daß das irakische Regime große Mengen an Lebensmitteln und Medikamenten zurückhält. Die mit der Überwachung des Food for Oil-Programms befaßten UN-Organisationen bescheinigen dem Irak eine einigermaßen effektive und gerechte Verteilung (s. auch das Taz-Interview mit Hans v. Sponeck vom 2.8.2000, Jutta Burghardt in junge Welt vom 26.08.2000).

Irreführend sind auch Angaben wonach der Irak Milliarden aus dem Ölgeschäft für andere Zwecke abzweigen würde. Es dürfte auch Ihnen bekannt sein, daß der Irak über die Einnahmen aus dem Food for Oil-Programm nicht frei verfügen kann, sondern, daß diese auf ein Treuhandkonto kommen. Natürlich verfügt der Irak auch noch über Einnahmen aus dem Rohölexport, der am Sanktionsregime vorbeigeschmuggelt wird. Milliardenbeträge lassen sich damit aber nicht einnehmen.

Daß noch Milliarden auf dem Treuhandkonto liegen, liegt, wie ebenfalls leicht überprüft werden kann, hauptsächlich an der Praxis des Sanktionsregimes. Dem Bericht des Generalsekretariats vom 8. März 2001 ist z.B. zu entnehmen daß am 28. Februar dieses Jahres Lieferverträge über ein Volumen von $ 3,3. Mrd. (davon $ 2,9 Mrd. über humanitäre Güter) "on hold", das heißt auf Eis gelegt waren (in den 3 Nordprovinzen, die mit 13% gegenüber 50,9% für Zentral- und Südirak sowieso pro Kopf ein Drittel mehr bekommen, sind nur Verträge für $ 282.000 noch auf Eis.) Dies und die ganze Planungs-, Antrags- und Bewilligungspraxis führten dazu, daß von den $ 19,5 Mrd., die der irakischen Regierung von den seit 1996 eingenommenen $ 38,3 Mrd. zugesprochen wurden, erst Waren im Wert von $ 10,6 Mrd. eingetroffen sind.

Jutta Burghard, die ehem. Leiterin des Welternährungsprogramms im Irak kommentiert hierzu in einem Leserbrief an die "junge Welt" (17.4.2001): "Wenig bekannt ist, dass zwar die Nahrungsmittelversorgung eine Hungersnot im Irak verhindert, der Rest des humanitären Programms jedoch ausgehöhlt ist und weder die Basisversorgung noch die notwendigen Investitionen in die kriegsgeschädigte Infrastruktur leisten. Das liegt daran, dass die USA und zu einem kleineren Teil Großbritannien die Lieferung von Gütern im Wert von derzeit über 3,3 Milliarden US-$ verhindern. Es ist dann ein Leichtes zu behaupten, die irakische Regierung sorge nicht für das eigene Volk. Vor den Sanktionen und sogar während des Iran-Irak-Krieges war der Irak allerdings Spitzenreiter in der Region im Sozialbereich. Das Gesundheitswesen war das beste im Umkreis und für die Errungenschaften im Erziehungswesen (95 Prozent Alphabetisierung) erhielt der Irak sogar einen Preis von der UNESCO. Und die Bereitschaft, für das Wohlergehen der eigenen Bevölkerung zu sorgen, hat sich nach meiner Einschätzung unter den Sanktionen nicht grundsätzlich geändert ."

Es gibt auch keine Hinweise daß der Irak aktuell "seine Rüstungsarsenale aufstockt und chemische und atomare Waffen entwickelt". Nicht mal die in solchen Sachen meist sehr findige und kreative CIA konnte welche entdecken. (Proliferation Report vom Februar 2001, http://www.odci.gov/cia/publications/bian/bian_feb_2001.htm). Bzgl. der Gerüchte über irakische Programme zur Kernwaffenproduktion, sieht die CIA neben dem relativ niedrigen Stand der theoretischen Forschung und Entwicklung und der mangelnden technologischen Ausrüstung des Irak auf diesem Gebiet, im "unzureichenden Zugang zu spaltbarem Material" für den Irak das "wichtigste Hindernis für die Produktion einer Atombombe".

Auch die meisten früheren UNSCOM-Mitarbeiter sehen keine akute Gefahr mehr vom Irak ausgehen. Während es möglich sei, so z.B. Scott Ritter, daß Irak den Grundstock zum Wiederaufbau des ihm unterstellten Arsenals habe, sei es sicher, dass Irak derzeit nicht die Möglichkeit habe, chemische, biologische oder nukleare Waffen zu produzieren oder gar einzusetzen. (siehe u.a. Scott Ritter in "Fellowship" vom Sept./Okt. 1999, einsehbar unter http://www.nonviolence.org/for/ritter1.htm).

Von Ihren Organisationen wurden auch Vorwürfe gegen ehem. UN-Mitarbeiter erhoben, die aus Protest gegen das Embargo zurücktraten. Direkt oder indirekt wurde ihnen Parteinahme für das irakische Regime vorgeworfen. Diese Vorwürfe sind völlig absurd und lassen sich unserer Meinung nach nur daher erklären, daß deren Engagement gegen das Embargo, dem Ihren für eine Fortsetzung desselben zuwiderläuft.

Es sind ja nicht nur Hans von Sponeck und Jutta Burghardt, die zurücktraten. Auch früher schon gab es Rücktritte, so auch der Vorgänger von Sponeck, Dennis Halliday. Und diese Leute sind sicher weder in den Irak geschickt worden, weil sie Saddam Hussein nahestanden, noch sind sie aus diesem Grund zurückgetreten.

Wer sich die Berichte von UNICEF, WHO etc. über die Situation im Irak anschaut, wird verstehen, daß dies keinen ehrlichen und humanitär eingestellten Menschen unberührt lassen kann. Und wenn auf Grund der Kräftekonstellation in der UNO hier keine Abhilfe geschaffen werden kann, bleibt nur der Gang an die internationale Öffentlichkeit.

Hier zeigen sich eben deutlich die beiden Gesichter der Vereinten Nationen. Auf der einen Seite stehen UN-Hilfsorganisationen und Menschenrechtskommissionen, die sich an den völkerrechtlichen Normen und Konventionen orientieren, die in langen Auseinandersetzung erarbeitet wurden, sich an den universellen Menschenrechten orientieren und das Recht des Stärkeren durch die Stärke des Rechts ersetzen wollen. (Diese Kräfte vertreten Geist und Buchstaben der Charta der Vereinten Nationen und können mit weitaus mehr Berechtigung im Namen der UN sprechen als die Hauptbetreiber der Sanktionspolitik, nämlich die USA und Großbritannien.) Auf der anderen Seite steht, vom Sicherheitsrat repräsentiert, die reine Machtpolitik, die nur auf dem Recht des Stärkeren ohne Rücksicht auf Völker- und Menschenrecht beruht.

Schon die ersten Berichte von UN-Hilfsorganisationen wiesen auf die Menschenrechtswidrigkeit der Sanktionen hin und seither wurde die Kritik immer stärker, da hier in der Tat nahezu allem zuwider gehandelt wird, was an kollektiven und individuellen Rechten von Menschen verbindlich festgelegt worden war. Und dies nicht von einem einzelnen Unrechtsregime, auf dessen Wirken von außen nicht unmittelbar Einfluß genommen werden kann, sondern von UN-Organen selbst.

Unser Anliegen ist die bedingungslose Aufhebung des Embargos. Wer das Leiden der Bevölkerung beenden will, muß diese Forderung unterstützen, unabhängig davon, wie repressiv das irakische Regime im Inneren ist. Wir meinen, daß alle anderen Fragen davon getrennt behandelt werden müssen. In diesem Sinne ist unser kurzer, auf das diesem Zusammenhang Wesentliche konzentrierte, Aufruf verfaßt.

Wir teilen in vieler Hinsicht Ihre Kritik am irakischen Regime, auch wenn sich unsere Informationen in vielen Punkten von den von Ihnen vorgebrachten unterscheiden. So erscheinen uns die Angaben von Ihrer Seite meist stark übertrieben; sie sind zumindest so nicht belegt. Oft wird zwar auf namhafte Quellen, wie Amnesty International oder die UNO verwiesen, wo sich die Angaben aber häufig nicht und oder nur als unbestätigte Informationen finden lassen.

Dessen ungeachtet bleiben schwere Vorwürfe gegen die irakische Regierung bestehen. Allerdings unterscheiden sie sich leider in vieler Hinsicht kaum von denen gegen andere Länder die z.T. Verbündete der westlichen Staaten sind.

So wie wir stets kritisiert haben, daß das irakische Regime rücksichtslos und mit brutalen Mitteln Interessen- und Machtpolitik betreibt und dabei, wie wir gesehen haben, auch vor Kriegen nicht zurückschreckt, so muß doch mindestens ebenso auch die bombenwerfende und massenmordende Politik der Staaten USA, Deutschland usw. verurteilt werden.

Wir lehnen daher auch ganz entschieden Forderungen nach weiterer Interventionen der westlichen Großmächte im Irak ab. England und die USA, aber auch Deutschland und Frankreich haben stets versucht die Region zum eigenen Nutzen zu kontrollieren und auszubeuten. Dafür haben sie immer wieder die verschiedenen Bevölkerungsgruppen gegeneinander aufgehetzt, worüber Sie sicher besser Bescheid wissen als wir.

Nichts spricht dafür, daß die schwierigen Probleme des Irak durch eine Aufrechterhaltung des Embargos einer Lösung nähergebracht werden. Wir sehen im Gegenteil im Ende des Embargos, sowie dem Zurückdrängen des Einfluß der USA und ihrer Verbündeten in der Region, die wichtigsten Voraussetzungen dafür. (Wir gehen davon aus, daß auch Sie nicht vergessen haben, wie viele Menschenleben diese Staaten während der Massenschlächterei von 1991 auf ihr Gewissen geladen haben.) Mit einer Aufhebung des Embargos wären, um das noch einmal zu betonen, die grundlegenden Probleme des Irak, darunter der von Ihnen zurecht benannte diktatorische Charakter des derzeitigen Regimes, noch lange nicht gelöst, aber das Ende des Embargos scheint uns eine Grundvoraussetzung dafür zu sein, daß solche Lösungen mit einiger Aussicht auf Erfolg entwickelt werden können.

Hochachtungsvoll,

Michael Schiffmann
Joachim Guilliard