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Erstaunlich ist, wie viel linke Deutsche, es für selbstverständlich halten, einen Völkermord hinzunehmen.
George Pumphreys
, 20.5.2001
Brief anläßlich zweier Rundschreiben innerhalb der PDS-Bundestagsfraktion, die sich - Branscheidt/WADI zitierend - gegen den Solidaritätsflug und gegen Initiativen zur Aufhebung des Embargos allgemein richteten.

Lieber U,
...

Nur um einiges klarzustellen:

Vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen für eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen, ist Völkermord (Art. 2 Abs. c) der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermords.) Die Bedingungen die Irak auferlegt werden entsprechen diesem Tatbestand. Das wird von immer mehr Menschen gesehen.

Erstaunlich ist, wie viel [in anderen Fragen] linke Deutsche, es für selbstverständlich halten, einen Völkermord hinzunehmen. Das "Ich habe es nicht gewusst" gilt hier nicht. Die Leiden der Menschen unter den Sanktionen werden immer häufiger auch durch die Presse öffentlich gemacht. Das unbegreifliche für mich ist die Gleichgültigkeit auch vieler in diesem Land, die sich zu den Linken, oder gar zu den Antiimperialisten zählen. Das nenne ich "tödliche Gleichgültigkeit." Etwas selbst zu glauben ist das eine, aber zu versuchen andere in die Irre zu führen, ist schon eine andere Stufe. Der eine ist Mitläufer der andere ist Komplize.

Es geht hier nicht um Saddam Hussein. Es ist lächerlich so zu tun, als ob er erst seit 1991 seine Unschuld verloren hat und anfing seine Landsleute zu unterdrücken. An dieser Debatte beteilige ich mich nicht. Hier werden nur auf Kosten des Lebens anderer Völker eigene politische Süppchen gekocht. Diese Debatte soll dem Genozid einen moralischen Touch verleihen.

"NGO" WADI e.V.: Es ist seit langem bekannt, dass viele Einrichtungen die sich NGOs nennen, nur bedingt das "N" in ihrer Bezeichnung rechtfertigen können. Seit langem sind viele sogar gegründet als Deckadressen für Regierungsintervention oder Kapitalintervention in fremden Ländern. Am bekanntesten ist Medicins sans Frontières, die den Truppen Pol Pots und den Mudjahedin in Afghanistan materiell und propagandistisch halfen. Karen Leukefeld (die übrigens den Kurden sehr nahe steht) hat in ihrem Artikel (JW v. 9.4.2001) auch darüber geschrieben, dass ebenfalls UNO Organisationen vielen "'N'GO"s in Nordirak skeptisch gegenüber stehen. Es ist ebenfalls bekannt, dass feindliche außenpolitische Interventionen Deutschlands mit Vorliebe über das Forcieren "ethnischer" Probleme in avisierten Ländern stattfinden. Die Kurdenfrage eignet sich hervorragend auch für deutschen Ambitionen. WADI mag sehr verdienstvoll in Nordirak gewesen sein, aber die Frage darf man sich doch stellen: in wessen Dienste.

Branscheidts Unterschrift: Branscheidt hat von Anfang an Kampagne gegen den Aufruf geführt. Seine Argumente waren vor seiner Unterschrift die gleichen wie danach. Es kommt vielleicht besser rüber wenn man sagen kann, "auch ich habe unterschrieben" um glaubwürdiger dagegen zu argumentieren. Saddam Hussein verantwortlich zu machen für die Toten, verursacht durch die Sanktionen ist keine neue Erfindung. Die Westeuropäer waren schon immer sehr überzeugt von ihrem "Recht" anderer Völker ihrem Willen zu unterwerfen. Wenn die Spanier z.B. ein neues Land "entdeckten", lasen sie den Menschen, die dort lebten - auf Spanisch - Texte wie diesen vor:

"Ich flehe Euch an, die Kirche als Eure Mutter und - im Namen des Papstes - den König als den Herrn Eures Landes anzunehmen und seinen Anordnungen zu folgen. Wenn Ihr es nicht tut, dann sage ich Euch: mit Gottes Hilfe und mit Gewalt werde ich gegen Euren Willen bei Euch eindringen. Ich werde Krieg führen überall und mit allen Mitteln. Ich werde Euch dem Joch der Kirche und des Königs unterwerfen und Ihr werdet ihnen gehorchen. ... Für den Tod und die Verwundungen, die Ihr von nun an erleiden müsst, seid Ihr selbst verantwortlich und nicht der König oder die Gentlemen, die mich begleiten."

Branscheidt ist kein Mitläufer. Er weiß genau worum es geht. Er ist ein Mittäter in diesem Völkermord.

"Vor allem die KP Irak": Die Bezeichnung KP ist kein automatisches Gütesiegel. Was ist kommunistisch an einer Partei, die aus eigenem politischen Kalkül die Vernichtung der Kinder ihres Landes hinnimmt. Das "kommunistische" an der CP I betrachte ich mit der gleichen Skepsis wie das "Rote" in Khmer Rouge, oder das "sozialistische" in NSDAP. Die CP I ruft zwar pathetisch zum "immediate and unconditional lifting of the economic blockade" auf, um nicht unglaubwürdig zu wirken. Aber das, was sie eigentlich will steckt in einem anderen Satz ihrer Erklärung: "UN control over the oil revenues must be CONTINUED to ensure that the regime does not regain total control over the country's resources". D.h. nichts anderes als Fortsetzung des Sanktionsregimes in seiner jetzigen Form oder wie der Sicherheitsrat sonst entscheidet. Dass die KP jetzt betont, sie akzeptiere kein Geld von der CIA, genieße ich mit äußerster Vorsicht. Die CIA hat vor einiger Zeit zugegeben, dass AUCH die KP Iraks von ihnen Unterstützung akzeptiert hat. Die KP nennt den irakischen Einmarsch in Kuwait ein Verbrechen, aber sagt nichts zu den Ursachen des Einmarsches noch zu den regelmäßigen Bombardierungen ihres Landes und seiner Bevölkerung durch die USA, Großbritannien und Australien seit 1998 noch gegen den Einsatz von biologischen Waffen gegen ihr Land. Alles was die KP der US-Politik vorzuwerfen hat, ist ihr "obstinates" Beharren auf dem Sanktionsregime. Wenn man die KP-Kampagnen seit 6 bzw. 7 Jahren verfolgt, kann man sehen wie sehr sie auch aus den Propagandamühlen der imperialistischen Geheimdienste bzw. Werbeagenturen gespeist sind. Wen hat es schon aufgeregt oder zum konsequenteren Nachdenken gebracht, nachdem die Brutkastenaffäre aufgedeckt wurde.

Rechts und Rechtsextrem: Dass Rechte - sogar Extremrechte - sich gegen die Fortsetzung des Embargos einsetzen, ist nicht erstaunlicher, als dass Linke und Extremlinke sich für die Fortsetzung des Völkermords einsetzen, um anderen politischen Zielen damit zu dienen. Es ist offensichtlich, dass – wie viele andere Fragen in der Geschichte – auch diese Frage sich nicht auf ein schwarz/weiß links/rechts Schema reduzieren lässt. Warum zwei Maßstäbe bei Euren moralischen Verurteilungen? Es stört Euch, dass Mechtersheimer - aus was immer für Gründen - auch gegen den Völkermord ist. Aber es stört Euch nicht, dass Ihr Euch auf der gleichen Seite in dieser Frage befindet wie die US-Regierung? Was soll das, außer dass man mit dieser billigen Argumentation Diskussionen um das eigentliche Problem verhindern will!

Bluten, das dürfen die anderen: Ich bin kein Deutscher und habe deshalb einen Blick von außen auf Verhaltens- und Denkensweisen der Deutschen. Was mir immer wieder auffällt, ist der unsägliche Umgang mit der faschistischen Geschichte des eigenen Landes. Über die Rechten will ich hier nicht reden, da sind wir sicherlich einer Meinung. Was mich immer wieder erstaunt ist aber die Haltung so einiger, die sich ja selbst zum linken Spektrum zählen. Einige Autoren von Jungle World und Konkret z.B. gehen so weit, dass sie die Beteiligung der USA an der Anti-Hitler Koalition als Rechtfertigungsgrund für die Unterstützung der US Politik im Mittleren- und im Nahen Osten sehen. Und weil Juden Opfer des Faschismus waren, stehen sie auch voll hinter der heutigen Politik Israels und schimpfen die Kritiker der israelischen Politik als Antisemiten. Mit welcher Leichtigkeit sie die Geschichte des eigenen Landes auf Kosten anderer Völker "aufarbeiten". Da wird die brutalste Unterdrückung der Palästinenser, da werden permanente und massive Völkerrechtsverletzungen und Verbrechen hingenommen, weil sie von einem "jüdischen Staat" ausgehen. Dies ist nicht nur Antisemitismus gegenüber anderen semitischen Völkern (den Palästinensern und anderen Arabern) es ist auch purer Antisemitismus gegenüber Juden, weil so Judesein mit der menschenverachtenden Politik Israels gleichgesetzt wird. Zur Erleichterung des eigenen schlechten Gewissens gegenüber Juden, dürfen die Palästinenser ruhig bluten.

So ähnlich verhält es sich mit Eurem Verhalten gegenüber den Menschen im Irak. Die Zerstörung Iraks und seiner Menschen stören nicht solange die eigenen politischen Präferenzen und Sympathien stimmen. Die Iraker können ruhig massenweise sterben solange das eigene politische Ziel nicht erreicht ist: der Umsturz des Regimes. Welche Politik kann ich denn von der jetzigen irakischen Opposition erwarten, wenn sie einmal an der Macht ist, die ihr politisches Ziel auf Kosten des irakischen Volkes meint erreichen zu müssen?

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Yours for Peace and Justice