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"Das Leid der irakischen Zivilbevölkerung gibt den humanitären Sachzwang vor"

"... Wie besessene Abtreibungsgegner, die die blutigen Bildchen lieben ... rationalisieren die Embargogegner über den »sanktionierten Massenmord« nur den Wunsch nach der eigenen Macht."

Jungle World 12/2001
Thomas Uwer und Thomas v. der Osten-Sacken
Befreiung ade - Ex-Linke gegen Irak-Embargo

Eigentlich hätte es funktionieren müssen. Man fordert die Bundesregierung auf, im nationalen Interesse internationale Auflagen zu ignorieren, verspricht der deutschen Wirtschaft einen fetten Anteil am Aufbau eines zerstörten Marktes und liefert die humanitäre Rechtfertigung gleich mit: »Wir fordern die Bundesregierung und die Abgeordneten des Deutschen Bundestages auf, (...) die Sanktionen gegen den Irak nicht länger zu beachten; sich mit den europäischen Partnern, Rußland, China und anderen Ländern über die Aufnahme normaler Handelsbeziehungen zum Irak zu verständigen und den Wiederaufbau des Landes mit angemessenen Mitteln zu fördern.«

Damit trägt dieser von den Ärzten zur Verhütung von Atomkriegen (IPPNW) und prominenten Einzelpersonen getragene Aufruf alle Züge der Berliner Außenpolitik: Uno-Beschlüsse und internationale Vereinbarungen werden als Mittel zur Durchsetzung nationaler Vorteile entlarvt, um sie im Sinne eigener Interessen zu brechen; das Leid der irakischen Zivilbevölkerung gibt den humanitären Sachzwang vor, der jedes Mittel rechtfertigt. Was die derzeit regierende ehemalige Linke im deutschen Außenamt, an die sich der Aufruf richtet, von den Unterzeichnern unterscheidet, ist der reale Zugang zu militärischer Macht.

Wie besessene Abtreibungsgegner, die die blutigen Bildchen lieben, mit denen sie zur Abschreckung hausieren gehen, rationalisieren die Embargogegner über den »sanktionierten Massenmord« nur den Wunsch nach der eigenen Macht. Nachdem sich die internationalistische Linke vor 30 Jahren von dem Anspruch gelöst hatte, die deutsche Arbeiterbewegung zu vertreten und sich zur Unterstützerin internationaler Befreiungsbewegungen in den Metropolen erklärte, emanzipieren sich die Unterzeichner des Aufrufes »Das Embargo gegen den Irak beenden« jetzt von jedem Gedanken an Befreiung überhaupt - und machen sich so zu Botschaftern des irakischen Regimes. Hans von Sponeck, ehemaliger Leiter des Öl-für-Nahrungsmittel-Programms der Uno im Irak, findet es etwa »ungerecht, wenn die Kurden über das Programm "Öl für Nahrungsmittel" mehr Mittel erhalten als andere im Irak« und prophezeit ein baldiges Ende des »goldenen Zeitalters« der kurdischen Parteiführer.

So bestimmt der eiskalte Jargon des deutschen Herrenmenschen das Planspiel mit den hungernden Massen. So weigert sich Petitionär Joachim Guilliard auch, im Zusammenhang mit dem Embargo die Zukunft der Kurden und Schiiten zu diskutieren. Und wie immer ist das deutsche Technokratenkollektiv, das sich hier hinter Statistiken, Verteilungsschlüsseln und Präambelparagraphen zusammenschweißt, alleine von Sachzwängen getrieben.

Trotz Sanktionen und Bombardierung, so Jutta Burghardt, ehemalige Leiterin des Welternährungsprogramms im Irak, habe der Irak vergangene Woche »Unterlagen zum Beweis der vollzogenen Abrüstung« vorgelegt. Ganz »legalistisch«, meint sie, müssen »wir Deutschen« also das Embargo auflösen. Spätestens wenn die Petition die »Prinzipien des Nürnberger Tribunals« bemüht, treffen die Unterzeichner sich inhaltlich mit jenen Nazis, die Saddam unterstützen, weil das »irakische Volk« das Opfer des gleichen Agressors sei wie das deutsche von 1945. Dieser Entsorgung der eigenen Vergangenheit, die als Schützenhilfe im Konkurrenzkampf der EU mit den USA daherkommt, steht allerdings die irakische Opposition im Wege, die den Aufruf dieser »Lobby der irakischen Regierung in Deutschland« (Ahmad Berwari, PUK) boykottiert.

Und das deutsche Außenministerium, das im Kosovo-Krieg genau auf diese Sorte Aufrufe angewiesen war, nähert sich gerade der Irak-Politik der USA an. Neidvoll also müssen die deutschen Irakfreunde nach Frankreich blicken, wo schon vor einem halben Jahr Intellektuelle und Künstler »gegen das US-Embargo« die Friedensbotschaft des französischen Kapitals nach Bagdad trugen.