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"Soll das Embargo nun bedingungslos fallen oder erst nach Änderung des Regimes? Wieviele Menschenleben sollen dafür noch geopfert werden?"
Joachim Guilliard, Heidelberg, 28. März 2001
(Antwort auf Hans Branscheidts Schreiben vom 3 März 2001 und folgende Rundschreiben)

Lieber Hans Branscheidt,

besten Dank für die vielen Zuschriften. Ganz offensichtlich ist noch einiges an Diskussion nötig. Es wäre schön, wenn wir diese sachlich führen könnten und nicht gleich alle, die in der Embargofrage andere Ansichten haben, als Komplizen Saddam Husseins hingestellt werden, die "dem Diktator Saddam Hussein eine erneute Chance gegeben wollen" etc..

Es wäre sicher wenig gewonnen, wenn wir unsererseits Euch polemisch die Unterstützung der führenden westlichen Politiker vorwerfen würden, schließlich sind Albright, Bush, Clinton, Fischer, Scharping, Schröder etc. auch für Massenmord (durch das Embargo) und Kriegsverbrechen (Irak bzw. Jugoslawien) verantwortlich.

Apropos, wie sollen wir Deine Kritik an Ramsey Clark wegen dessen Solidarität mit Jugoslawien verstehen ("ganz sicher kein Pazifist oder Kronzeuge der deutschen Friedensbewegung"). Er engagierte sich doch zurecht wie wir für Jugoslawien, als das Land von seinem und unserem Land bombardiert wurde. Er und das International Action Center leisteten dabei meiner Meinung nach gute und wichtige Beiträge.

Ich würde auf alle Fälle eine rationale Auseinandersetzung anstreben, auch wenn Du Werner Ruf und mir "rationalisierende Sprachfiguren" vorgeworfen hast. Schließlich geht es beim Thema Irakembargo um Dinge wie Verhältnismäßigkeit, Prioritäten und politische Machbarkeit, Dinge also, die nicht aus dem Bauch heraus beurteilt werden können und wo einem Gut-Böse-Schemen nicht viel weiterhelfen.

Zur Embargofrage selbst:

Mir ist nach den vielen Zuschriften überhaupt nicht mehr klar, auf was Du nun eigentlich hinauswillst.

Einerseits wendest auch Du Dich wegen der verheerenden Auswirkungen gegen das Embargo und forderst seine Aufhebung. Andererseits kritisierst Du, wir würden keine Rücksicht auf die Teile der irakischen und kurdischen Opposition nehmen, die einer sofortigen Aufhebung der Blockade nicht zustimmen und verlangst – wie sie – die Aufhebung des Embargos mit "Minimal"-Forderungen an den Irak zu verknüpfen.

Soll das Embargo Deiner Meinung nach nun bedingungslos fallen oder doch erst wenn ein Änderung des Regimes in Sicht ist? Falls ja, drängen sich weitere Fragen auf: Wie soll diese Änderung vor sich gehen? Wie lange darf das Deiner Meinung nach noch dauern? Wieviele Menschenleben im nicht-kurdischen Teil des Iraks können deiner Meinung nach dafür noch geopfert werden?

Dies ist keine Polemik, sondern das sind die Alternativen, die sich stellen. Jeder der weiterhin mit Hilfe der Sanktionen bestimmte Ziele – und seien sie noch so legitim – durchsetzen will, muß sich klar darüber sein, daß er damit pro Monat weitere fünf bis zehntausend Tode in Kauf nimmt (vom übrigen Leiden ganz zu schweigen).

Aus diesem Grund muß die Frage des Embargos von allen anderen Fragen abgekoppelt werden und genau dies und nichts anderes bringen wir mit unserem Aufruf zum Ausdruck. Dieser kurze, auf das in diesem Zusammenhang Notwendigste beschränkte 1-seitige Text soll dafür die gemeinsame Basis darstellen. Daneben bleibt es jedem unbenommen, begleitend zu diesem Aufruf das zu sagen, was ihm außerdem noch wichtig erscheint.

Dabei sollte man allerdings auch Fragen nach der Verhältnismäßigkeit beachten und danach, was politisch machbar ist.

Sieht man die Problematik nicht allein aus Sicht der von Euch unterstützten kurdischen Organisationen, so muß man doch erkennen, daß die Zahl der Embargoopfer die der irakischen Aufstandsbekämpfung und sonstigen Repressionsmaßnahmen bei weitem übersteigt, selbst wenn man die Zahlen der irakisch-kurdischen Opposition zugrunde legt. Diese erscheinen mir allerdings reichlich übertrieben, zumindest, wenn man sie z.B. mit den durchaus auch sehr Irak-kritischen Berichten von amnesty international vergleicht. (siehe u.a.. ai-Länderbericht 2000 zum Irak, dessen Schwäche allerdings darin liegt, daß aus ihm die in den Einzelberichten noch deutliche ungesicherte Quellenlage nicht mehr hervorgeht). Auch die naturgemäß ebenfalls sehr Irak-kritischen Berichte des Special Rapporteurs der UN-Menschenrechtskommission für den Irak ergeben ein wesentlich differenzierteres Bild und bleiben bei der Wiedergabe vieler Vorwürfe auch korrekterweise im Konjunktiv (siehe z.B. Interim Report vom April 2000).

Ebenso übertrieben erscheint mir übrigens auch die von Dir in einem Rundschreiben genannte Zahl von 70.000 durch Giftgas getöteten KurdInnen. Aber eventuell kannst Du mir hier mit entsprechenden Quellenangaben auf die Sprünge helfen.

Unabhängig davon steht außer Zweifel, daß im Irak schwere Menschenrechtsverletzungen verübt werden. Ebenso außer Zweifel steht aber, daß das Embargo ebenfalls eine Menschenrechtsverletzung darstellt, deren Auswirkungen um ein vielfaches gravierender sind. Unter anderem deshalb hat für mich eine Kampagne gegen das Embargo Priorität vor einem Engagement z.B. gegen die Repression im Irak oder eines der anderen Länder der Region, die sich in dieser Hinsicht leider – wie aus ai-Berichten ebenfalls hervorgeht – nicht sehr vom Irak unterscheiden oder womöglich noch schlimmer sind.

Wirtschaftssanktionen sind zudem, wie sich gezeigt hat, kein geeignetes Mittel, um eine Verbesserung der Menschenrechtslage oder eine Demokratisierung zu erzwingen: im Gegenteil. Auch daher halten wir es für gefährlich, die Aufhebung der Sanktionen mit Forderungen in dieser Richtung zu verbinden. Stellungnahmen, wie die von Dir verteilte des "Obersten Rats der Islamischen Resistance" – sie seien schon immer gegen das Embargo gewesen, aber fallen solle es erst, wenn das Regime beseitigt ist – würden wahrscheinlich auch von Madeleine Albright und den Bushs senior und junior unterstützt werden.

Wenn wir auch mit unserer Kampagne für eine bedingungslose Aufhebung der Belagerung offensichtlich bei diversen irakischen Exilorganisationen nicht auf Verständnis gestoßen sind, sind wir uns doch sicher, daß unsere Initiative im Sinne der Mehrheit der irakischen Bevölkerung ist. Dies wird jeder bestätigen, der in Kontakt mit im Irak lebenden Menschen steht, ebenso wie die Tatsache, daß es die meisten Menschen dort schon lange leid sind, daß ihren Schilderungen der verheerenden Auswirkungen des Embargos stets der Verweis auf "Saddam Hussein" entgegengehalten wird.

Du schreibst, Die Schwäche des Aufrufes bestünde " u.a. darin, daß er die Ansichten und erklärten Absichten der demokratischen Opposition im Irak völlig ignoriert"

Was sind dies für Ansichten und erklärten Absichten? Ich kann ehrlich gesagt weder erkennen, daß die angesprochenen kurdischen Organisationen PUK und KDP oder der Großteil der im westlichen Ausland agierenden irakischen Oppositionsgruppen "demokratische Alternativen" sind, noch, daß diese sogenannte "demokratischen Opposition" die Bevölkerung des Iraks repräsentiert, wie beispielsweise der ANC zu Zeiten der Sanktionen gegen Südafrika.

Wie wenig fortschrittlich die genannten Kräfte sind, läßt sich meines Erachtens gerade auch an ihrer unveränderten Haltung zum Krieg und Embargo gegen den Irak sehen. Ich fand es schon 1990/1991 bitter, daß diese Kräfte größtenteils ihre politischen Hoffnungen auf einen Krieg setzen, der das ganz Land zerstörte und viele Unschuldige tötete oder die Existenzgrundlage raubte, wo es doch letztlich um die Hegemonie der USA über die Region ging. Noch viel schlimmer ist diese, wohl auch aus dem mangelnden Rückhalt bei der irakischen Bevölkerung selbst beruhenden Haltung heute, angesichts der unübersehbar großen Zahl von Opfer durch das Embargo.

Wir haben in Heidelberg auch schon mit Oppositionellen aus dem Irak zusammen Veranstaltungen gegen das Embargo durchgeführt und würden es sehr begrüßen, wenn andere irakische Exilorganisationen unsere Initiative zur Beendigung der Irak-Blockade unterstützen würden. Wir werden aber sicher nicht, nach zehn Jahren Embargo, weiter darauf warten.

Was spricht denn dagegen, die Kurdistanfrage getrennt von der des Embargos anzugehen? Du hast hier ja auch schon, z.B. bei der Berliner Kurdistan-Konferenz im April 1999, diskutierenswerte Vorschläge, die nicht auf neue Grenzen zielen, beigesteuert. Eine ernsthafte Gefahr für die kurdischen Gebiete bei Wegfall der Wirtschaftssanktionen kann wohl kaum jemand ernsthaft postulieren, ebensowenig wie für die Nachbarländer - nicht nur aufgrund der militärischen Schwäche und politischen Isolierung des Irak, sondern auch wegen einer Reihe anderer Faktoren.

Was die Frage der Sicherheit Israels betrifft, so würden heute viele – auf die Bedrohungssituation in der Region angesprochen – Israel wohl kaum als bedrohtes Land, sondern, hochgerüstet wie es auch mit Massenvernichtungswaffen ist, selbst als Bedrohung für den Frieden ansehen. (Eine Bedrohung, die angesichts beispielsweise des israelischen Überfalls auf den Libanon, leider nicht nur hypothetisch ist).

Eines sollten wir auf jeden Fall vermeiden: Aufforderungen an die westlichen Staaten zu richten, erneut im Irak (oder sonstwo) – womöglich noch gewaltsam – zu intervenieren, wie in Deiner vor kurzen verfaßten Erklärung zu Halabja ("Die internationale Staatengemeinschaft soll endlich gegen die Vernichtungs- und Vertreibungspolitik des irakischen Staates gegen die Kurden Maßnahmen ergreifen.")

Wir haben im letzten Jahrzehnt die "internationale Staatengemeinschaft", die sich hier stets angesprochen fühlt, genügend kennengelernt, um zu wissen, daß hier erneut Brandstifter zum Löschen aufgefordert werden. Sie haben nicht nur in den letzten Jahrhunderten genug Unheil angerichtet, sie tragen auch bis heute maßgeblich zu den Konflikten und zur Gewalt bei – nicht zu letzt, indem Bevölkerungsgruppen gegeneinander aufgehetzt werden. Davon können doch gerade die Kurden ein Lied singen. In dieser Disziplin gehört Deutschland seit jeher zur Spitzenklasse, wie u.a. die "Erfolge" auf dem Balkan zeigen.

In diesem Sinne wäre auch ein internationales Tribunal zu den Verbrechen im Irak nur dann wünschenswert, wenn – im Gegensatz zum Haager Jugoslawien-Tribunal – sich dort alle, die sich (mutmaßlicher) Verbrechen schuldig gemacht haben, zu verantworten hätten, mit anderen Worten: auch die Bushs, Clintons, Blairs, Powells, Schwarzkopfs usw.. Es ist allerdings klar, daß man mit der Forderung nach einem wirklich unabhängigen Irak-Tribunal nicht mehr auf die Unterstützung mächtiger und spendabler Förderer im State Departement oder Foreign Office rechnen kann.

Wir sollten uns im übrigen auch vorwiegend auf das konzentrieren, was im Verantwortungsbereich unseres Landes liegt. Daher spricht nichts dagegen, parallel zu der von uns aufgestellten Forderung nach Beendigung der Irak-Blockade auch die richtige Forderung an die deutsche Regierung und an deutsche Firmen nach Wiedergutmachung für die Opfer von Halabja zu stellen.

Mit den besten Grüßen,

Joachim Guilliard

P.S.: Das Datum, an dem wir mit dem Aufruf an die Öffentlichkeit gingen (28. Februar 2001), wurde wegen dem 10. Jahrestag des Kriegsendes gewählt.