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"...die innere Situation eines Landes ist keine militärische Frage"
Stefan Gose, antimilitarismus information , 20. März 2001

Lieber Hans Branscheidt,

ich begrüße die Kontroverse um das Irak-Embargo sehr, weil es einen verschwiegenen Krieg wieder an die Öffentlichkeit bringt.

Vorweg, ich bin kein Irak-Experte und skeptisch gegenüber allen, die sich dafür halten. Welche Repression im Irak herrscht, wieviele Menschen in diesem Land leiden und sterben, über welche Waffen das Regime verfügen soll - all das höre ich aus zweiter Hand. Grundsätzlich halte ich es für glaubwürdig, wenn von schweren Menschenrechtsverletzungen aus dem Irak berichtet wird, auch daran, daß das Regime die Zwänge des Embargos für seine Zwecke mißbraucht, zweifle ich nicht.

So zynisch es für die Opfer klingen mag, der Kern der Embargo-Kontroverse ist doch die akademische Frage, wie verhält sich Menschenrecht zu staatlicher Souveränität. Juristisch scheint das geklärt: Wer Menschenrechte mißachtet, hat mit internationalen Sanktionen zu rechnen. Doch - und hierum rankt sich die Kontroverse - welche Legitimation haben Sanktionen, die ihrerseits Menschenrechte verletzen?! Schlimmer noch, Sanktionen die, statt humanitär zu wirken, die Zahl der Opfer unbefristet potenzieren?

Ist der Eindruck so falsch, daß weder die USA noch Großbritannien ein politisches Konzept zur Konfliktbearbeitung für den Irak haben - und derweil die irakische Bevölkerung (sehenden Auges im Zusammenspiel mit dem Hussein-Regime) für ihre Zwecke in Sippenhaft nehmen? Jeder Krieg ist eine Ökonomie - auf beiden Seiten - das kann auch bedeuten, daß ihn niemand beenden will. Zurück zur Ethik: es ist ein Dilemma - die Aufhebung des Embargos würde die Spielräume eines repressiven Regimes erweitern, zugegeben. Aber darf daraus folgen, daß eine illegale und todbringende Blockade fortgesetzt wird?

Wo bleibt die Politik all jener, die ihren Stab über dem irakischen Regime gebrochen haben? Jede Regierung ist nur so stark wie ihre satten Mitläufer und ihr Repressionsapparat - und die wollen bezahlt werden. Wenn Saddam Hussein das behauptete Monster ist, dann soll er vor einem UN-Tribunal angeklagt werden - warum hat sich in den vergangenen zehn Jahren niemand darum bemüht?! - Dafür gibt es handfeste Gründe und die haben nichts mit Mangel an Beweisen zu tun. Was wir erleben, ist westliches Faustrecht, begründet mit einem Schurken, gegen den niemand Anklage erheben möchte, bevor nicht das Hinterland gesichert ist. Da lese ich von Plänen, im Nordirak eine Dissidentenregierung installieren zu wollen, möchte schon fast das UN-Trusteeship-Council einfordern - wüßte ich nicht, wie eine solche Treuhand-Verwaltung in der Praxis endet.

Ja, man muß die irakische Opposition fragen, was sie für das eigene Land wünscht - aber welche Exil-Funktionäre in Wien oder Berlin können diese Stimme für sich beanspruchen? Einen ehrlichen Makler sehe ich nicht. Kommen wir zurück zu Recht und Gesetz: wenn eine Regierung codifizierte Standards grob verletzt, muß sie dafür gerichtlich zur Verantwortung gezogen werden - Pinochet war da nur ein Vorgeschmack - wem es mit Menschen- und Völkerrecht ernst ist (wie es die westliche Welt lautstark verkündet), der muß sich dem auch selbst unterwerfen. Jenseits der Gerichte bestimmt die Politik das Tagesgeschäft - auch wenn es einfacher scheint, beim Bombenwerfen zu bleiben. Weltweit gibt es -zig Despoten, deren Gebahren kritikwürdig ist (und noch in den 80er Jahren wurde der repressive Herr Hussein in europäischen Hauptstädten hofiert) - es ist der Job der Politik, sich mit ihnen zivil auseinanderzusetzen. Anderenfalls ermutigt das gewalttätige Vorbild all jene (nicht nur Husseins), die fürchten, auch nur noch mit entsprechenden Waffen ernst genommen zu werden.

Mein Credo ist deshalb banal: die innere Situation eines Landes ist keine militärische Frage. Wer sie beeinflussen will, darf sich nicht selbst außerhalb des Rechts stellen. Ein Junktim von militärischer (Embargo-)Drohung und politischem Wohlverhalten ist eine imperiale Anmaßung - auf Kosten einer Millionenbevölkerung ist es nur noch kriminell.

Deutlicher: bei aller Abscheu gegenüber angeschnittenen Zungen, Ohren oder Köpfen - wer rettet mit einem selbstgefälligen Embargo (in dem sich das Hussein-Regime ja angeblich eingerichtet hat) auch nur einen Menschen? Bei aller Distanz zum Hussein-Regime - wem darauf nur noch Gewaltmittel einfallen, der hat sein politisches Mandat verschenkt und sollte zu Gunsten von kreativen Köpfen zurücktreten.

In diesem Sinne uneingeschränkt: Schluß mit dem Embargo! Es wird Zeit, daß die westliche Politik aus dem bequemen Feindbild zu ihrer Arbeit zurückfindet. Für die Alternative braucht es wenig Phantasie: weitere Tote, Verlust von Rechtsempfinden, zunehmende Konfrontation und Eskalationen nicht nur im Irak.

Mit Besten Grüßen

Stefan Gose
antimilitarismus information